Macron warnt: "Europa kann sterben" - und erinnert an die Atommacht Frankreichs
Von Simone Weiler
Natürlich sei Emmanuel Macron nicht im Wahlkampf, ließ sein Umfeld vor seiner Europa-Grundsatzrede am Donnerstag wissen. „Sorbonne 2“ hieß sie, in Anlehnung an den Ort, die Pariser Universität Sorbonne, und an eine erste Ansprache zu dem Thema, die er im September 2017, wenige Monate nach seiner ersten Wahl zum französischen Präsidenten, dort gehalten hatte. Strotzte diese damals nur so von ambitionierten Vorschlägen von einer „Neugründung Europas“ bis hin zur – nicht umgesetzten – Idee eines gemeinsamen Finanzministers für die Euro-Zone, so klang er diesmal deutlich beunruhigter. „Europa kann sterben und das hängt einzig und allein von unseren Entscheidungen ab“, warnte er.
In dreierlei Hinsicht bestehe diese tödliche Gefahr für den Kontinent: Bezüglich der eigenen Sicherheit angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, welche nach Kräften unterstützt werden müsse, angesichts des europäischen Wirtschaftsmodells mit dem Risiko, von Großmächten wie den USA und China abgehängt zu werden und nicht zuletzt seiner bedrohten Werte und kulturellen Identität.
Die gute Nachricht Macrons: Er habe Lösungen und Ideen, um die Gefahren abzuwenden. In erster Linie seien strategische Entscheidungen in den genannten Bereichen notwendig, mehr Einheit, mehr Abstimmung, mehr Selbstbewusstsein und Mut.
Konkret forderte er einen Paradigmenwechsel, um in jeder Hinsicht die Kontrolle wieder zu erlangen. Die EU müsse ihre Außengrenzen noch effizienter schützen, ihre Handelspolitik neu aufstellen, die Verteidigungsfähigkeiten massiv ausbauen. Als einzige Atommacht Europas verfüge Frankreich mit der nuklearen Abschreckung über ein „unumgängliches Element“ der europäischen Verteidigung.
Putin wird nicht erwähnt
Er stehe auch zur „strategischen Ambiguität“, die darin bestand, nach einem Gipfel zur Unterstützung der Ukraine im Februar die Entsendung von Bodentruppen in das angegriffene Land zu schicken, betonte der französische Präsident mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin, den er nicht beim Namen nannte. „Warum sollten wir gegenüber einer Macht, die keine Grenzen mehr kennt, sagen, wo die unseren liegen?“ Angesichts des hybriden Kriegs, den Moskau längst führe, gelte es, die europäischen Kapazitäten für Cybersicherheit und -verteidigung auszubauen, europäische Kooperationen einzugehen. „Europa steht am Wendepunkt“, so Macron.
Dass er sich aber eben doch im Wahlkampf befand, zeigte, dass der 46-Jährige eine persönliche, überwiegend positive Bilanz seiner eigenen Europapolitik zog. So sei das zunächst „französische Konzept“ einer notwendigen „europäischen Souveränität“ nach und nach zu einem europäischen geworden.
Als Erfolge nannte er zudem eine „strategische Einheit“ der 27 EU-Staaten bei Themen, die bis dahin im nationalen Bereich lagen, wie der Gesundheit, und die erstmalige Aufnahme gemeinsamer Schulden zur Finanzierung eines Aufbaufonds nach der Corona-Pandemie, für die er ein Impulsgeber war.
Doch kann ihm dies beim Urnengang Anfang Juni nutzen?
Macrons Partei Renaissance droht laut Umfragen vom sozialistischen Kandidaten Raphaël Glucksmann überholt zu werden, liegt aktuell bei rund 17 Prozent und damit zehn bis 15 Prozentpunkte hinter dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) zurück. Dessen Spitzenkandidat Jordan Bardella betont unermüdlich, es handle sich durchaus um ein nationales Votum und ruft zur Abstrafung der Regierung auf. Meinungsforscher glauben, dass er durchaus gehört werden dürfte. Ob Macrons fast zweistündige Ausführungen daran etwas ändern, erscheint zweifelhaft.