Machtwechsel in Venezuela? Wahlen könnten Autokraten Maduro kippen
von Manuel Tovar aus Caracas
Eine begeisterte Menschenmenge wartet auf die Ankunft von María Corina Machado. Bürger halten mit Rosenkränzen geschmückte Schilder hoch. Es wird gelacht, getratscht, gehupt – alle Klänge verschmelzen zu ohrenbetäubender Freude. Weder die sengende karibische Sonne noch der heftige Regen dazwischen dämpfen den Wunsch ihrer Anhänger, Venezuelas Oppositionsführerin vorbeiziehen zu sehen. Der "Königin der Herzen" zuzuwinken oder, wenn sie Glück haben, sie sogar zu berühren oder mit ihr zu sprechen. Alle wollen ihr nahe sein, selbst wenn sie nicht die Präsidentschaftskandidatin ist - alle wollen die Frau sehen, die den Willen und die Hoffnung auf die Veränderung des ganzen Landes verkörpert.
Die 56-jährige Politikerin Machado hatte im Oktober 2023 mit überwältigender Mehrheit die Vorwahlen für den Wahlgang am kommenden Sonntag gewonnen. Keine zwei Monate später wurde ihre Kandidatur verboten. Im nahezu letzten Moment hatte sich ein breites Oppositionsbündnis auf den Politikwissenschaftler Edmundo González Urrutia eingestellt. Der 74-jährige, sanftmütige Ex-Diplomat, der nie Präsident werden wollte, könnte nun derjenige sein, der das Schicksal eines Landes verändert.
Denn das Duo Machado-González hat eine mitreißende politische Partnerschaft und Zugkraft entwickelt: Machado, die lebhafte, energische Politikerin, die Gerechtigkeit und Einheit für das Land fordert, und im Gegensatz dazu die ruhige und "großväterliche" Energie von González. Auf kleinen Booten hat Machado große Flüsse überquert, hat Motorräder oder sogar Pferde benutzt, um zu ihren Kundgebungen zu gelangen und den Menschen zuzuhören, meist erschütternden Geschichten von Exil und zerrissenen Familien.
Ihre Kampagne sei, so sagt Machado, eine Art "spirituelle Bewegung des Guten gegen das Böse". Und das "Böse", das sieht die Opposition in Machthaber Nicolas Maduro und dessen "chavistisches Mandat", das Venezuela in den vergangenen Jahren so viel Leid und Armut gebracht habe.
Am kommenden Sonntag könnten die regierenden Chavisten nach einem Vierteljahrhundert ihre Macht verlieren. Präsident Maduro kommt in den Umfragen auf nur rund 25 Prozent - das erste Mal, dass der Staatschef und seine Chavistas vor Wahlen nicht klar in Führung liegen. Sein Kontrahent Edmundo Gonzalez hingegen zieht dem Langzeit-Autokraten um mehr als 20 Prozentpunkte davon.
Wäre Venezuela ein normales Land und wären es normale Wahlen, könnte Maduro schon seine Koffer packen. Doch in Venezuela ist schon seit vielen Jahren nichts mehr normal. Das Land mit den größten bekannten Ölreserven der Welt ist völlig verarmt, viele Menschen können sich heute kaum noch eine Mahlzeit pro Tag leisten.
Hyperinflation
In den zehn Jahren von Maduros Regierung hat Venezuela die zweitlängste Hyperinflation der Welt durchlitten, nach einer vier- und fünfstelligen Inflationsrate näherte sich die Rate bereits den 1.000.000 Prozent. Venezuela erlebte den größten Exodus in Amerika - acht Millionen Migranten haben das Land verlassen, davon sechs Millionen infolge schwerer Menschenrechtsverletzungen. In den USA stellen Venezolaner mittlerweile die Mehrheit jener Migranten, die jedes Monat illegal über die Grenze in die Vereinigten Staaten kommen.
Misswirtschaft und Korruption lähmen das Land, haben die florierende Ölwirtschaft auf ein Minimum herabgebremst, seit Jahren geht es nur noch bergab.
Als Hugo Chavez 1999 die Staatsführung übernahm, rief der linke Volksheld die "Bolivarische Revolution" aus. 2013 starb er, und der ehemalige Busfahrer Nikolas Maduro übernahm. Seither ging es noch schneller bergab: Massenarbeitslosigkeit, Inkompetenz, Armut, Not, politische Unterdrückung.
Für Vivian Level, eine 21-jährige Zahnmedizinstudentin, gibt es deshalb gar keinen anderen Weg als für Oppositionskandidaten González zu stimmen: Sie hofft auf einen Wandel und eine bessere Zukunft, sagt: „für das Land“. Giovanni Erre, ein 81-jähriger Ingenieur, unterstützt das Duo Machao-Gonzalez ebenfalls. „Es sind Menschen mit klaren und konkreten Ideen, und ich möchte nicht sehen, wie Menschen verhungern. Kinder verdienen eine bessere Zukunft, also werde ich für sie stimmen.“
Aber er ist auch besorgt und befürchtet, dass der Übergang für das Land nicht einfach sein wird. Die Regierung sei nicht bereit zu gehen, sagt er und fragt sich, was nach dem 28. Juli passieren könnte. Im ganzen Land steigt die Nervosität in den letzten Tagen vor dem Urnengang.
Maduro warnt vor "Blutbad"
Das Maduro-Regime hat indessen alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen, um seinen Sieg sicherzustellen: Indem staatliche Ressourcen für Wahlversprechen verwendet werden, indem Karten und Symbole traditioneller Parteien entfernt werden müssen, Kundgebungen verhindert und Parteien und Kandidaten disqualifiziert werden. Für seine Wahlveranstaltungen nutzt Maduro die öffentlichen Busse, in den staatlichen Medien dürfen nur seine Botschaften verbreiten werden. Oft ist Maduro auf Bühnen tanzend zu sehen, mit Lichtern, Musik und Künstlern, die eine bessere Zukunft versprechen - die aber auch seinen Anhängern Angst einjagen, das Volk würden den „Wohlfahrtsstaat“ verlieren, wenn die „rechtsextremen Extremisten gewinnen“. Maduro warnte schließlich sogar vor einem "Blutbad", sollte er verlieren. Venezuela entscheide über "Krieg und Frieden", warnte er.
Doch selbst mit all seinen Ressourcen, seinem Druck und Drohungen steht das Regime vor der schwierigen Aufgabe, die Bevölkerung davon zu überzeugen, für Maduro zu stimmen. Oscar Villalobos, ein 49-jähriger Beschäftigter im öffentlichen Sektor, der früher für Chávez und Maduro gestimmt hat, sagte, die Nation brauche eine Veränderung. Deshalb werde er für Antonio Ecarri stimmen, einen Minderheitskandidaten mit nur 2 Prozent Zustimmung: „Diese Regierung kann nicht weitermachen. Es sind 25 Jahre vergangen und wir sind es leid.“