Politik/Ausland

Locker auf dem Weg zum Euro

Der offizielle Stadtführer, der an die Besucher aus Brüssel verteilt wird, hat es in sich: In Vilnius gebe es „kriminellen Wildwuchs“, Besucher müssten auf der Hut sein, damit ihnen „neben dem unvermeidlichen Verschwinden von Handtaschen und Handys“ nicht auch noch „Teile ihres Autos verloren gehen“. Falls doch, hat man doppelt Pech, denn: „Polizisten zu finden, wenn man sie braucht, ist wie die sprichwörtliche Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“.

Litauen hatte im zweiten Halbjahr 2013 die EU-Ratspräsidentschaft inne, das heißt: Die litauischen Vertreter führten Vorsitz bei den Ministertreffen, von denen einige auch in Vilnius stattfanden. Die Länder nutzen die wechselnde Präsidentschaft, um sich zu präsentieren: Mit kompetenter Verhandlungsführung, kulturellen Darbietungen – oder eben auch, wie Litauen, mit Humor.

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Denn der Inhalt des halb-ernsten Stadtführers bestätigt sich den vielen EU-Besuchern nicht, wohl aber der Ton: Locker, lebendig, selbstbewusst – so zeigt sich Vilnius nicht nur auf dem Papier.

Litauen war 1990 die erste Sowjetrepublik, die sich für unabhängig erklärte. Seither hat das Land eine Wandlung Richtung Westen vollzogen, ist seit 2004 EU- und NATO-Mitglied. Die Schengen-Grenzen sind offen, im Jänner 2015 will man den Euro einführen. Der Weg dahin war beschwerlich: Ein für 2007 geplanter Euro-Beitritt scheiterte; die Krise der vergangenen Jahre sorgte für Rezession und Unruhen. Dank eisernem Sparkurs ist man wieder auf Euro-Kurs.

Wer sich in Vilnius umsieht, findet einen Fleckerlteppich, in dem einige Teile vom Fortschritt der vergangenen Jahre zeugen – und andere davon, dass dieser noch nicht überall angekommen ist. Die Fußgängerzonen in der Innenstadt etwa sind herausgeputzt, die schicken Cafés könnten – von den niedrigen Preisen abgesehen – auch in London oder Wien stehen. Der Fürstenpalast, vor 200 Jahren unter russischer Herrschaft zerstört, wurde im Sommer wiedereröffnet.

Das „andere“ Vilnius

Das ist das Bilderbuch-Vilnius, das oft doch nur ein paar Straßen entfernt ist vom „anderen“ Vilnius, in dem man heute noch die Kulisse für einen Ostblock-Film finden würde: Trostlose Gegenden mit halb verfallenen, halb verlassenen Plattenbauten. Und um die Ecke die Baustelle für ein neues Hochglanz-Hotel.

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Man findet beim Herumstreifen nicht nur diese zwei Seiten der Stadt, sondern auch eine „andere“ Seite Europas. „Europa kann doch nicht heißen, dass alle einfach abhauen“, steht auf einem Flugblatt. Die Jungen suchen Job- und Aufstiegschancen im Ausland. Rezeptionistin Anna ist die Ausnahme: 25, einwandfreies Englisch, abgeschlossenes Studium – und dennoch in Vilnius geblieben. „Meine Freunde wollten alle nach London oder Berlin“, erzählt sie, „aber ich habe mir gedacht: Wenn alle dort hingehen, wird es nicht genug Jobs geben. Und jemand muss doch auch hier bleiben, bevor unsere Jobs an Leute aus dem Osten gehen.“

Auch das nimmt man aus Vilnius: Von hier aus betrachtet fängt der Osten erst bei (Weiß-)Russen und Ukrainern an. Wo sie selbst stehen (wollen), ist den Litauern klar: 64 Prozent fühlen sich laut aktuellem Eurobarometer als EU-Bürger – knapp über dem Durchschnittswert in der Union. Deren Zukunft sehen 64 Prozent der Litauer optimistisch – der zweithöchste Wert in der EU (Österreich: 48 Prozent). Vom Euro sind noch nicht alle überzeugt – aber das wird schon, glaubt Rezeptionistin Anna. Und sagt mit einem Augenzwinkern etwas, das auch im Vilnius-Stadtführer stehen könnte: „Der Euro hat zwar in den letzten Jahren Probleme gehabt. Aber sobald Litauen einmal dabei ist, kann eigentlich nichts schiefgehen.“