Kurze Leine für EU-Konzerne: Sie werden für ihre Zulieferer verantwortlich
Trotz zuletzt massiv gewachsenen Widerstands von Seiten der Europäischen Volkspartei kam das EU-Parlament am Donnerstag mehrheitlich einem anderen Entschluss: Künftig müssen große europäische Unternehmen für ihre Zulieferfirmen in aller Welt Sorgfaltspflichten wahren. So sollen die Konzerne in der EU für Kinder‐ oder Zwangsarbeit sowie für Umweltverschmutzung ihrer internationalen Lieferanten verantwortlich gemacht werden, die ihre Zulieferer verursachen.
Vom Rohstoff bis zum Endprodukt, von der Kakaobohne bis zum Schokoriegel im Geschäft soll sicher gestellt sein, das entlang der gesamten Lieferkette alles fair, unter menschenwürdigen Bedingungen und guten Umweltstandards abläuft. Kaufen die Kunden ihr TV-Gertät oder ihr T-Shirt, soll sicher gestellt sein:
Konsumenten können mit reinem Gewissens kaufen – kein Kind wurde dafür gequält, kein Boden oder Fluss vergiftet, keine Näherin am anderen Ende der Welt unter übelsten Arbeitsbedingungen zu einer 14-Stunden-Schicht verdonnert.
Verhandlungen mit EU-Regierungen
Ende 2022 hatten sich bereits die EU‐Staaten auf ihren Standpunkt zu dem Vorhaben festgelegt. Nun müssen sich Parlament und Mitgliedstaaten nach der Abstimmung am Donnerstag dann noch auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen. Die Gespräche könnten bereits nächste Woche beginnen. Ein Ergebnis könnte noch heuer, gegen Jahresende kommen.
Die EU-Abgeordneten wollen unter anderem mehr in der EU ansässige Unternehmen in das Lieferkettengesetz einbinden, als ursprünglich geplant. So sollen die Vorgaben schon für Firmen in der EU mit mehr als 250 Mitarbeitenden und einem weltweiten Umsatz von über 40
Millionen Euro gelten.
Ursprünglich war in dem vor einem Jahr vorgelegten Entwurf der EU-Kommission vorgesehen, dass das Lieferkettengesetz zunächst nur Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mit über 150 Millionen Euro Umsatz betreffen sollte.
Strengere Regeln waren für Konzerne geplant, die in Sektoren arbeiten, bei denen das Risiko von Ausbeutung und Umweltzerstörung höher ist ‐ etwa die Textilindustrie, Bergbau oder Landwirtschaft.
Widerstand kam vor allem von seiten der Europäischen Volkspartei: Auch die Abgeordneten der EU-ÖVP stimmten dagegen. Angelika Winzig, Delegationsleiterin der ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament: "Grundsätzlich muss es die Aufgabe jedes Staates sein, mit seinen Gesetzen zu garantieren, dass die Verletzung von Menschenrechten, Umweltstandards oder Sozialrechten vermieden bzw. bestraft wird. Unsere heimischen Unternehmen leisten in diesem Bereich schon viel. Wichtig ist, dass wir bei dem Gesetzesvorschlag dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit folgen. Der derzeit vorliegende Bericht erfüllt das aber leider nicht", führt sie gegenüber dem KURIER aus.
"Der Vorschlag im Parlament ist überschießend, unausgewogen und würde neue große Belastungen für unsere Betriebe bedeuten, ohne dass dadurch das gewünschte Ziel besser erreicht werden kann."
Daher hatte Winzig mit Kollegen aus Deutschland, Schweden und Italien Abänderungsanträge eingebracht, die sich auf vier Themenfelder fokussierten: Geltungsbereich, zivile Haftung, volle Harmonisierung am Binnenmarkt und Ausnahme von nachgelagerten Geschäftsbeziehungen.
Die EU‐Vorschriften fallen strenger aus als das seit heuer geltende deutsche Lieferkettengesetz, das für Unternehmen mit mehr als 3000 Angestellten gilt.
Die Deutsche Industrie‐ und Handelskammer ﴾DIHK﴿ kritisiert: „Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf: Von ihnen wird eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liegt“, sagte DIHK‐Präsident Peter Adrian. Lieferketten bestünden oft aus mehreren hundert, teils mehreren tausend Firmen. In der Regel sei einem Betrieb aber nur der direkte Zulieferer bekannt. Kleine und mittlere Unternehmen würden „komplett überfordert“ mit den geplanten Richtlinien.