Kurz: Türkis-Grün könnte "Vorbildfunktion" für Deutschland haben
Von Andreas Schwarz
Greta Thunberg hat das Schweizer Bergstädtchen Davos fünf Tage lang dominiert. Und auch wenn sich in jüngster Zeit in Europa Stimmen mehren, dass der Greta-Hype nervt und das apodiktische Daumen-rauf, Daumen-runter mancher Klimaaktivisten über Unternehmen, Branchen und Politiker jeden Rahmen sprengt: An den Themen Umwelt und Klima kommt man beim 50. World Economic Forum in Davos nicht vorbei.
Auch Sebastian Kurz nicht, der am Freitag seinen Rede-Auftritt beim WEF hat. Und er legt gleich unmissverständlich klar, dass der Klimaschutz wichtig, aber die wirtschaftliche Entwicklung mindestens ebenso wichtig ist.
"Ich habe eine große Dankbarkeit, dass ich in Europa und einer Welt lebe, die sich in allen Bereichen zum Guten verändert", sagt Kurz in dem vom früheren Nestle-Chef Peter Brabeck-Letmathe moderierten Gespräch. Sinkende Kindersterblichkeit, immer mehr Menschen, die in Demokratien lebten – "dass immer mehr ein gutes Leben führen, verdanken wir Fortschritt und Innovation".
Und ja, Waldbrände und Naturkatastrophen zeigten, dass der Schutz der Umwelt zentral sei. Fortschritt nütze nichts, wenn die Welt verloren gehe. Es sei "gut", dass Klimaschutz jetzt "in aller Munde" sei. "Aber wir müssen alle aufpassen, dass Thema nicht missbraucht wird", sagt Kurz und spricht von "alten kollektivistischen Ideen, die immer, egal wo auf der Welt gescheitert sind".
"In diesem Bewusstsein ist es gut zu verinnerlichen, dass wir das Klima nicht retten werden, indem wir die europäische Industrie oder Wirtschaft bekämpfen und schädigen", sagt Kurz unmissverständlich in Richtung mancher Klimaaktivisten.
Kurz: Kein Klimaschutz ohne wirtschaftlichen Erfolg
Die Debatte 'Klimaschutz oder Wirtschaft', 'Thunberg oder Trump' sei jedenfalls falsch. Es müsse möglich sein, beides zustande zu bringen. Und: "Wir werden als Demokratien nur dann erfolgreich und Beispiel für andere sein, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind, wenn wir Arbeitsplätze erhalten und schaffen, Gesundheit, Pflege und Pensionen finanzieren können."
Und wer könnte sich besser als eine Art Vorreiter dieses Zusammenspiels präsentieren, als Österreich – in aller Bescheidenheit natürlich. Oder so. "Bestes aus beiden Welten verbinden", sagt Kurz in Sachen Umwelt und Klima, so wie er es nach den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen schon gesagt hat. Wenig überraschend lobt er das "ambitionierte Programm" aus beiden Welten in Österreich, Klimaschutz da, Standort, Wirtschaft, Sicherheitspolitik dort.
Prognose: Grüne werden Sozialdemokraten ablösen
Ein Modell für Europa will er in Türkis-Grün aber nur bedingt sehen, zu unterschiedlich seien die Voraussetzungen. "Aber wenn wir uns bei Nachbarn umschauen", sagt Kurz explizit mit Blick auf Deutschland, "da kann unser Modell eine Vorbildfunktion haben". Eine "ähnliche Konstellation" sei für Deutschland nach der nächsten Wahl "nicht unwahrscheinlich", sagt der ÖVP-Chef. "Da würde ich mich wetten trauen."
Außerdem sagt er: "Die Grünen werden in vielen Ländern die Sozialdemokratie ersetzen, weil sie die moderne Linkspartei sind."
Österreich werde jedenfalls bis 2030 Strom zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie beziehen; Österreich trete dafür ein, durch europäische CO2-Zölle den Wettbewerb fairer zu machen (und umweltbelastende Produktionen aus Drittstaaten zu verhindern), sagt Kurz.
Schon am Vorabend traf der Kanzler in Zürich mit Apple-Chef Tim Cook ("Es gibt kaum einen anderen CEO, der so einen geballten Überblick hat wie Tim Cook") zusammen. Mit ihm plauderte er über "Augmented Reality" (das Einblenden von Informationen auf Brillen), künstliche Intelligenz sowie Smartwatches und deren Innovationskraft im Bereich Gesundheit. Cook kündigte bei dieser Gelegenheit, wie berichtet, 300 neue Arbeitsplätze in Österreich bei der Smartphone-Modemproduktion von Intel an.
Am Freitag hatte Kurz auch Meetings mit den CEOs von ABB, Peter Voser (setzt gerade 100 Millionen Euro am Standort Oberösterreich um) und Novartis, Vasant Narasimhan (weitere 30 Millionen in Tirol).
Treffen mit "Revolutionär" Guaido
Am Freitag stehen dann Gespräche mit diversen CEOs (ABB, McKinsey, Novartis) sowie mit der IWF-Chefin Kristalina Georgieva und EZB-Chefin Christine Lagarde auf dem Programm - sowie ein Treffen mit Juan Guaido, dem selbst ernannten Interimspräsidenten Venezuelas. Guaido, der seit einem Jahr erfolglos versucht, Machthaber Nicolas Maduro von der Macht zu vertreiben, hat das Treffen vorgeschlagen – Kurz war einer der ersten Politiker gewesen, die Guaido als Interimspräsidenten anerkannt hatten.
Der 36-jährige "Revolutionär" appelliert an die internationale Staatengemeinschaft, die Menschen in Venezuela im Kampf für mehr Demokratie nicht alleine zu lassen. Bis zu viereinhalb Millionen sind inzwischen vor der immer größeren wirtschaftlichen Not geflüchtet. "Wir müssen Druck auf die Diktatur ausüben", sagt Guaido in Davos, der von mehreren Dutzend Ländern, darunter den USA und Deutschland, als legitimer Übergangsstaatschef anerkannt wird.
Das Militär und Staaten wie Russland, China, Iran und Kuba unterstützen hingegen den Sozialisten Nicolas Maduro im Amt. Guaido räumte ein, dass die Opposition die Macht der Regierung Maduro unterschätzt habe. Auch der seitens der USA anfangs aufgebaute Druck hat nachgelassen.