Politik/Ausland

Kruzifix, noch mal: Wahlkampf in Bayern

Am Ende ist der Funken doch noch übergesprungen. Nach 90 Minuten dröhnt der Applaus unter dem Festzelt am Michaelimarkt. Doch Markus Söder hatte es schon einmal einfacher, Bierbänke zum Beben zu bringen. Für seine CSU sieht es drei Wochen vor der Wahl nicht gut aus: Laut aktuellem „Bayerntrend“ des Bayerischen Rundfunks käme sie derzeit auf historisch tiefe 35 Prozent.

"Bayern darf nicht Berlin werden"

Nicht nur, dass die absolute Mehrheit außer Reichweite ist, die CSU muss sich auf eine Koalition und ein buntes Kabinett einstellen – ihr schlimmster Albtraum. Oder, wie der Ministerpräsident es nennt: „Berliner Verhältnisse“.

An der Hauptstadt arbeitet er sich derzeit besonders ab. Die Botschaft: Bayern darf nicht Berlin werden. Dieses Szenario begleitet ihn auch nach Schwabmünchen, nahe Augsburg. Kaum aus dem Auto gestiegen, wird ihm ein Lebkuchenherz überreicht, geduldig posiert er für Selfies.

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Dann ertönt der Defiliermarsch, der 1,94-Meter-Mann zieht unter Klatschen ins Zelt ein, die Handykameras blitzen, er schüttelt Hände, wirkt aber leicht abwesend. Klar, der Mann tourt seit Monaten durch Provinz und Städte, übernimmt die Patenschaft einer Schäferhundeschau, schmiert Brote für bedürftige Kinder und stellt sich abends ins Bierzelt, das an diesem Abend gut gefüllt, aber nicht knallvoll ist. Ein Besucher sieht sich um und raunt: „Beim Franz-Josef Strauss hätt’s des net gegeben. Da wäre kein Platz mehr gewesen“.

"Echte Bayern"

Söder sucht gleich zu Beginn den Schulterschluss: Er ist hier, weil’s echte Bayern gebe, am Marienplatz in München, hätt’ er noch keine gesehen. Gelächter. Dann beginnt der Franke, wie überall, wo er auftritt, über das Gute zu sprechen: Man könne dankbar sein, in diesem Land zu leben. „Gibt es eines, das besser und stärker ist als Bayern?“ Nein, grölt es aus den hinteren Reihen.

Dann schlägt der 51-Jährige seinen Katalog auf und klingt nun wie ein Verkäufer. Er hat viel zu verteilen: Mehr Geld für Pflege, für Kinder, für Mütter und Familien.

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Jedem Satz folgt ein „Meine Damen und Herren“. Mal gibt’s mehr, mal weniger Applaus. Pensionistin Annemarie ist das alles zu viel Gerede. Sie möchte mit Söder diskutieren. Sie hat im Pflegebereich gearbeitet und viele Fragen.

Doch der Mann auf der Bühne ist am Kalauern über die Hauptstadt, die ohne das Geld aus Bayern nicht lebensfähig wäre – das hebt die Stimmung im Zelt.

Kein Wort über Seehofer

Weniger lustig finden einige, was sich derzeit politisch in Berlin abspielt.

Während Söder auf der Bühne gerade an seiner Heldensage strickt („Mir wird vorgeworfen, ich mache zu viel und das, was ich sage“), schnaubt eine Zuhörerin wütend auf. Sie ist sauer auf die CSU und deren Chef Seehofer: Ein Beamter in Berlin, dessen Name sie jetzt nicht weiß, hat was verbockt und der Seehofer befördert ihn noch, „also, wenn das unsereiner wäre“.

Markus Söder hat für solche Krisen längst eine Strategie gefunden: Mit keinem Wort erwähnt er seinen Parteikollegen und ehemaligen Rivalen. Er spricht nur von denen in Berlin, „die tagelang um eine Personalie debattieren“.

Migrationsstreit

Ähnlich distanzierte er sich auch im Migrationsstreit, wo er selbst gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin donnerte. Doch Söder, dem man nachsagt, er könne Stimmungen aufnehmen wie kein anderer, hatte sich verkalkuliert: Die Umfragewerte rutschten nach unten, Kritik kam aus der Kirche und von Wählern. Die CSU-Politiker standen als Zündler da.

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Während Söder alle Schuld auf Berlin schob, arbeitete Seehofer weiter auf eigene Kosten. Es ist kein Geheimnis, das er in der Partei von vielen nur noch geduldet wird.

Er habe seine Zeit übersehen, „er ist zu machtgierig geworden“, sagt Maschinenbauingenieur Markus. Gut finde er, dass Söder verspricht, seine Amtszeit auf 10 Jahre zu deckeln, „das ist selbstkritisch“.

Söder und das F-Wort

Genauso will Söder gesehen werden. Wenn er über Flüchtlinge redet, spricht er nun von „Herausforderungen“, lobt alle Helfer: Nirgendwo wären die Menschen besser untergekommen als in Bayern. In Berlin mussten sie auf der Straße schlafen, ätzt er. 

Und überhaupt: „Wer verfolgt wird und anerkannt ist, „soll in Bayern die besten Startchancen haben. Wer nicht anerkannt ist, randaliert, muss sofort gehen.“ An die Menschen gewandt fragt Söder: „Ist das nicht die richtige Balance?“

Bio-Bauer Jakob findet das vernünftig. Integration funktioniert in der Region, besser, als man annimmt. Es gibt viele gute Beispiele, „leider liest man davon kaum“. Was man an diesem Abend von den Menschen noch hört, sind Sätze wie: „Eigentlich geht es uns ja gut.“

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Damit lässt sich für die CSU aber keine Wahl gewinnen. Also folgen auf Söders milde Töne ein paar scharfe: Er warnt vor No-Go-Areas wie in  Berlin und Fächern wie Islamkunde – das Spiel mit der Angst, es klappt. Die Menschen applaudieren. 

Jenen, die diese Methode ebenso gut beherrschen, widmet sich Söder zum Schluss: „Ich hab früher gedacht, die machen nur Protest“ – doch Chemnitz zeige, wie radikal die AfD sei, die „Seite an Seite mit Neonazis und Hooligans marschiert“. „Da steckt ein Plan dahinter“, ruft er ins Zelt.  Auch in der Hoffnung, einige Wähler umzustimmen.

In der CSU will man nichts dem Zufall überlassen: Die Kreisvorsitzende überreicht Söder zum Abschied gar eine  Statue vom Heiligen Markus.

Damit’s nicht zu pathetisch wird, erklärt sie schnell, der Schutzheilige der Maurer soll Söder helfen, da er ja  an der Zukunft baue. Wie seine Politische aussieht, wird der 14. Oktober zeigen.