Kroatien: "Die Erdbeben sind schlimmer als Krieg"
Es ist klirrend kalt in Drenovac banski. In der Nacht hat es wieder geschneit. Auf dem Balkon des Einfamilienhauses hängt Wäsche zum Trocknen, mit einem Schneehäubchen darüber. Es scheint, als würde die Wäsche nie mehr trocken werden. Seit dem Erdbeben kurz vor dem Jahreswechsel darf Familie Arbutina ihr einsturzgefährdetes Haus nicht mehr betreten.
Das Streudorf Drenovac banski liegt im kroatischen Landkreis Sisak-Moslavina. Wo sich Füchse und Wölfe in der Tat „Gute Nacht“ sagen. Wo sich Kroaten und Serben vor dreißig Jahren Mann gegen Mann bekämpft haben. Wo seither trotz der geografischen Nähe zur Hauptstadt schon mehrere Zagreber Regierungen wenig gegen die Armut der Bewohner unternommen haben. Wo jetzt das Erdbeben jede einzelne Bausünde aufgedeckt hat.
Unsere Nachbarn brauchen uns jetzt. Helfen Wir mit! Helfen Sie mit! Hier können Sie helfen.
Kalt im Container
„Die ersten sieben Nächte nach dem Beben haben wir zu sechst im Auto zugebracht“, sagt Zoran Arbutina. „Kolegas“ von der niederösterreichischen Firma Glendor haben dem Landwirt, seiner Frau Liljana und den Töchtern Sara (15), Petra (13) und den Zwillingen Nikolina und Martina (9) kurzerhand ein provisorisches Dach über dem Kopf organisiert. Heute beliefern sie die Familie in ihrem kleinen Wohncontainer mit warmem Gulasch.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Häuser der „Kolegas“ ebenso zerstört sind. Doch Typen wie Tomo Presečan, ein Kleiderschrank von einem Mann, können in diesen Tagen nicht zusehen, wie andere mit ihrem Elend alleine gelassen werden.
Tomo war im Krieg Pilot, weiß auch, wie man sich bei einem Angriff von Wölfen zur Wehr setzen muss. Mit der aktuellen Naturkatastrophe ist jedoch auch er überfordert: „Die Erdbeben sind schlimmer als Krieg. Im Krieg weißt du, woher dein Feind kommt. Im Moment wissen wir nicht, wie wir uns schützen sollen.“
Ein rotes Kreuz
Bald 900 Mal hat die Erde in dieser Region binnen weniger Tage gebebt. Nicht weit vom ebenso einsturzgefährdeten Firmensitz von Glendor, das seit 2014 viel Herzblut und Kapital in ihre Edelholz-Plantagen investiert, ist Biserka Kovačević zu Hause, besser gesagt: war sie zu Hause.
Im Holzhaus in Brest nahe Petrinja haben schon ihre Urgroßeltern gewohnt. Heute zeigt ein rotes Kreuz neben der Eingangstür an, was man von außen nicht vermuten würde: Nicht mehr bewohnbar, muss abgerissen werden!
Der geschmückte Christbaum steht noch im Wohnzimmer. Sonst blieb wenig beim Alten. Die Pädagogin ist dennoch dankbar. Weil es Menschen wie den Sisaker Unternehmensberater Vlado Šalić gibt, der sich als freiwilliger Helfer engagiert und unter anderem sehr schnell für sie und ihren Mann einen Baucontainer mit Heizkörper und E-Herd organisiert hat.
Biserka Kovačević redet bei unserem Besuch wenig über das, was sie verloren hat. Viel mehr blickt sie in die Zukunft: „Jetzt benötige ich nur noch Internet, damit ich meine Schüler ab Montag wieder unterrichten kann.“ Und ja, auch da fand Helfer Vlado mit Freunden noch eine Lösung. Sofort, unbürokratisch.
In der Geisterstadt
Die Bilder von den zerstörten Häusern Petrinjas sorgten vor zwei Wochen weltweit für Aufsehen. Längst sind die Kamerateams fort. Dabei wird jetzt erst das Ausmaß des Erdbebens ersichtlich. Das Rathaus: nicht mehr zu retten. Die schönen historischen Gebäude der pädagogischen Fakultät: detto. Im Zentrum der 25.000-Einwohner-Stadt reiht sich ein Haus mit rotem Kreuz an das andere. Petrinja, eine Geisterstadt, nur 230 Kilometer von Graz entfernt.
Ein alter Mann schiebt sein klappriges Fahrrad am zentralen Park vorbei. Herr Franjo erzählt, dass er mit seinen 77 Jahren drei Mal ein Haus verloren hat: Zum ersten Mal beim Erdbeben 1969 in der nordbosnischen Stadt Banja Luka, zum zweiten Mal im Krieg, der hier besonders blutig war, zum dritten Mal vor wenigen Tagen. Franjo deutet zu den Bäumen im Park, dann sagt er: „Wir sind keine Vögel, wir brauchen ein Dach über unserem Kopf.“
Im Gehen meint er noch: „Ich habe zu viel in meinem Leben gesehen, deshalb bin ich mir fast sicher, dass wir auch mit dieser Situation irgendwie fertig werden.“
Arg erwischt hat es auch das Krankenhaus in Sisak. Dessen Direktor Tomislav Dujmenović kann nicht verbergen, wie traurig und abgekämpft er heute ist. Von den 408 Betten im Spital der Kreisstadt, sagt er, „kann ich nur jedes Dritte belegen“.
Dujmenović sitzt in einem Behandlungszimmer der Abteilung für Gynäkologie. Sein Büro wurde beim Beben zerstört, ebenso wie mehrere Krankenhausabteilungen. Lethargisch erklärt er: „Gut, die Notfall-Ambulanz ist noch in Betrieb, und für Covid-Patienten haben wir ein Militärzelt, aber die schweren Fälle müssen wir nach Zagreb und Karlovac überstellen.“
Vor der Musikschule in Sisak spielt ein junger Musiker mit seinem Saxofon. Im Jahr 1880 wurde das Gebäude als Synagoge eröffnet. Nach der menschenverachtenden Vertreibung der Juden aus Sisak bekamen hier die Musiker ihre neue Heimstätte.
Wenn das Leben endet
Doch mit dem letzten Ton des Saxofonisten verstummt auch die Kultur. Schlussstrich vor einem architektonisch wertvollen Abrissobjekt. Ein Zuhörer meint noch: „Wir haben hier aufgehört zu leben.“
Das alte Bahnhofsgebäude von Sisak darf ebenso nicht mehr betreten werden. Welch Symbolik! Weniger als eine Stunde benötigen die Züge von hier nach Zagreb, doch gefühlt ist Sisak weiter von der Metropole weg als alle Tourismusorte an der Adria.
Der Landkreis mit der hohen Arbeitslosenrate und dem Image des Waldviertels vor dem Fall des Eisernen Vorhangs hat im Krieg und auch danach zigtausende Menschen verloren. Das Erdbeben könnte nun den Rest geben. Einige haben bereits ihre Koffer gepackt, und wenn in Kürze in den Turnsälen der Volksschulen die notdürftig Untergebrachten den Kindern weichen müssen, ist zu befürchten, dass weitere Sisaker ihrer Stadt den Rücken kehren. Für immer.
Was jetzt dringend benötigt wird
In den ersten Tagen nach dem Erdbeben rollten unzählige private Hilfskonvois von Österreich in Richtung Süden. Herz erwärmend, spontan, gut gemeint, zum Teil auch an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei.
„Schicken Sie bitte kein Gewand mehr“, bittet Petar Penava vom Roten Kreuz, der auf dem Zagreber Messegelände das zentrale Spendenlager koordiniert. Dort sind neben vielen österreichischen Hilfsgütern auch Paletten mit Mineralwasser aus Bulgarien oder Toilettenpapier aus Serbien geparkt – Produkte, die man ohne Transportaufwand auch vor Ort kaufen kann, womit auch die regionale Wirtschaft angekurbelt wird.
Penava versichert, dass alles in den kommenden Wochen Abnehmer finden wird. Mit Suzana Borko von der Caritas ist er sich einig, dass es woanders mehr mangelt: „Im Moment benötigen die Menschen beheizte Unterkünfte.“ Dies bestätigt der österreichische Botschafter Markus Wuketich: „Zuletzt wurde uns mitgeteilt, dass 4.500 Wohneinheiten fehlen.“
82 Container hat die Republik Österreich im Rahmen der EU-Hilfe den Kroaten auf Leihbasis zur Verfügung gestellt. Dazu kommen weitere Einheiten, die von Privatpersonen auf den Weg gebracht wurden. Damit ist der Bedarf aber noch nicht gedeckt.
In den nächsten Tagen, die rund um Petrinja kalt und niederschlagsreich bleiben sollen, werden auch warme Mahlzeiten, Medikamente, elektrische Heizgeräte, Küchenausstattungen, Generatoren, Laptops und Internetanschlüsse benötigt.
Auch Firmen aus Österreich helfen. Rot-Kreuz-Mann Penava baut auch auf sie: „Das Erdbeben hat Ställe zerstört, Tiere getötet, Lebensgrundlagen vernichtet.“ Baumaterial, Kühe, Schweine, Schafe, Saatgut könnten nachhaltig wiederbeleben.
Viele Freiwillige - auch aus Österreich
Ehrenamtlich. Ihr Sinn für Konstruktives war bis vor wenigen Tagen nicht unbedingt das, wofür man sie kennt und fürchtet. Neben den Bad Blue Boys, die den harten Kern der Fußballfans von Dinamo Zagreb bilden, wirken die Ultras von Rapid Wien wie ein friedensbewegter Fanblock in St. Hanappi.
Umso bemerkenswerter ist es, dass vor einigen Tagen die Capos der BBB beim Roten Kreuz in Zagreb vorsprachen und ihre Hilfe anboten. Seither packt eine stolze Achthundertschaft für die Erdbebenopfer kräftig an, bisher soll es auch noch keinen einzigen Zwischenfall gegeben haben.
Als Helfer treffen sie auf freiwillige Feuerwehrleute aus burgenländisch-kroatischen Gemeinden ebenso wie aus Ferlach, Krems oder der Steiermark, die sich freigenommen haben, um all die Spenden nach Kroatien zu überstellen.
Und wenn dann die Menschen am Straßenrand applaudieren, eine Sondereinheit der kroatischen Polizei den Konvoi eskortiert, sich der österreichische Botschafter Markus Wuketich in Sisak für den Freiwilligen-Einsatz bedankt, dann sind selbst hartgesottene Feuerwehrkommandanten wie der Osliper Harald Josef Navakovich sichtlich ergriffen.
Binnen acht Tagen haben die Osliper mit 15 anderen Ortsfeuerwehren aus dem Nordburgenland einen Konvoi mit zwanzig Fahrzeugen auf die Straße gebracht. Viele Nachbarn haben generös gespendet, 50 Feuerwerker sind dann dem Aufruf gefolgt und mit nach Sisak gefahren.
Neben der in der EU eingespielten Hilfe auf Regierungsebene ist das Engagement der Freiwilligen ein starkes Lebenszeichen für Europa. Während sich Menschen in Zagreb stundenlang anstellten, um das zunächst dringend benötigte Blut zu spenden, kamen und kommen täglich Hunderte Freiwillige nach Petrinja, Sisak und Glina, um so wie die Bad Blue Boys aktiv anzupacken und auch zu kochen.
Viel bewältigen dank ihrer Erfahrung und Kontakte die großen Hilfsorganisationen wie Caritas oder Rotes Kreuz. Daneben bewegen aber auch lokale NGOs wie die „Udruga iks“ aus Petrinja einiges, wie der Ferlacher Stadtrat Ervin Hukarevic nach seiner Rückkehr aus Kroatien angetan meldet: „Die sind wirklich im Terrain unterwegs.“
Gemeinsam stark: Der KURIER kooperiert bei seiner Spendenaktion mit den beiden Hilfsorganisationen Rotes Kreuz und Caritas. Darüber hinaus unterstützen Mitarbeiter des AußenwirtschaftsCenter Zagreb der Wirtschaftskammer (WKÖ) die Aktion mit ihrer Expertise.
Spenden an die Caritas: Kennwort: „Kroatienhilfe KURIER“ Der IBAN des Spendenkontos: AT23 2011 1000 0123 4560
Spenden an das Rote Kreuz: Kennwort: „KURIER Erdbebenhilfe Kroatien“. Der IBAN des Spendenkontos: AT57 2011 1400 1440 0144