Politik/Ausland

Kritik an israelischem „Hyper-Nationalismus“

Sie ist gleichsam die Marathonläuferin für die palästinensische Sache: Seit den 1970er-Jahren politisch aktiv und seit Beginn der 1990er-Jahre in den Friedensprozess mit Israel involviert, hat Hanan Ashrawi, 72, momentan alle Hoffnung verloren, dass sie selbst noch einen unabhängigen Staat Palästina erleben werde: „Da bin ich sehr, sehr skeptisch“, sagte sie während eines Wien-Besuches im KURIER-Gespräch.

Zwar hätten alle israelischen Regierungen der jüngsten Vergangenheit den Bau jüdischer Siedlungen auf palästinensischem Gebiet vorangetrieben, doch zuletzt „ist ein richtiger Wettlauf entstanden, wer die rechtere und extremere Politik machen kann“, so die Anglistin, die im Exekutivkomitee der PLO sitzt. Das Thema Frieden in der Region stehe überhaupt nicht mehr auf der Agenda der israelischen Innenpolitik, es gehe nur noch um Sicherheit.

„Desaströs“

Ermöglicht worden sei dieser Rechtsdrall vor allem dadurch, dass „die anti-palästinensischen Maßnahmen Israels keine Folgen hatten und haben“. Und dass US-Präsident Donald Trump sich zu hundert Prozent auf die Seite Israels gestellt habe. „Seine ,Me first’-Politik ist desaströs für die USA, für das regionale und globale System, für die Menschenrechte, für die Humanität und natürlich für uns Palästinenser“, analysiert Ashrawi.

Dass auch die radikal-islamische Hamas nicht zimperlich vorgeht, bestreitet die 72-Jährige nicht, „aber der Gazastreifen als Ganzes ist nicht alleine diese Organisation, außerdem hat Israel viel mehr Menschen getötet als die Hamas“. Premier Benjamin Netanyahu sei froh, dass es die Hamas gebe, „so kann er sein aggressives Vorgehen im Westjordanland, die Besetzung unseres Landes, die Tötung unserer Leute, rechtfertigen“.

Appell an Österreich

Von der Staatengemeinschaft, zumal von Europa, erwartet sich Ashrawi, dass man dem „Hyper-Nationalismus“ Israels einen ausgewogenen Multilateralismus entgegensetzt, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg als friedenssicherndes System etabliert worden sei. „Man darf Israel nicht überall freie Hand gewähren“, betont die Palästinenserin – und sieht da auch Österreich in der Pflicht. „Da geht es um Glaubwürdigkeit: Echte Freundschaft gibt es nur dort, wo es auch Kritik gibt.“ Die historisch belasteten Beziehungen zwischen Israel und Österreich lässt die Politikerin nicht gelten. Man solle nicht auf einer vergangenen Basis, die noch dazu aufgearbeitet sei, aufbauen. Kritik an Israel habe nichts mit Antisemitismus zu tun, auch wenn das in Israel gerne so gedeutet werde.

Der palästinensische Botschafter in Österreich, Salah Abdel Shafi, wird da eindeutiger. „Ich bin seit fünf Jahren hier. In dieser Zeit habe ich von der Regierung in Wien noch keine Kritik an Israel gehört.“ Daran wird sich wohl auch in Zukunft nichts ändern, wie Außenministerin Karin Kneissl in einem Interview mit der Times of Israel jetzt klarmachte. Darin stellte sie sich gegen die EU wegen deren angeblich zu harscher Politik gegenüber Israel.