Krim-Anschluss im Blitztempo: Bezahlt wird jetzt in Rubel
Von Stefan Schocher
Ab Montag in einer Woche werden auf der Krim die Uhren anders gehen. Mit diesem Tag gilt auf der Halbinsel die Moskauer Zeit. Die Uhren werden zwei Stunden vorgestellt.
Am Tag nach dem Referendum geht alles Schlag auf Schlag. Nach der Abstimmung für den Anschluss der Krim an Russland verabschiedete das von Kiew abtrünnige Parlament in Simferopol am Montag zwei Beschlüsse: Die formelle Erklärung der Unabhängigkeit – und das Ansuchen an Moskau, diese zugunsten eines Anschlusses an die Russische Föderation sogleich wieder aufzugeben. Der Rubel wurde zudem zur offiziellen Parallelwährung gemacht.
Russlands Präsident Wladimir Putin unterzeichnete am Montag einen Erlass, in dem er die Schwarzmeerhalbinsel als "unabhängigen und souveränen Staat" offiziell anerkennt (siehe weiter unten). Am Dienstag will er sich erstmals seit dem Referendum am Sonntag öffentlich zu Wort melden. Über den Inhalt seiner geplanten Rede wollte der Kreml zwar keine Auskunft geben, dass es aber um die Krim gehen würde, war klar. Bereits Ende der Woche könnte das russische Parlament über ihre Aufnahme abstimmen. Danach müsste Putin noch Ja sagen.
Erwartet wird, dass Moskau in der gegenwärtigen Krise Kosten und Nutzen eines solchen Schrittes penibel abwägen wird. Die Kosten einer Einverleibung der wirtschaftlich maroden Krim sind enorm, hinzu kommen die Sanktionsdrohungen seitens EU und USA sowie die vielen Unbekannten, die eine weitere militärische Eskalation auf ukrainischem Gebiet mit sich bringen würden. Und der Nutzen? Mit der Krim hätte Moskau ein ewiges Faustpfand in der Ukraine und Putin vor der eigenen Bevölkerung einen Stärke-Bonus.
Hoher Preis
790 Millionen Euro Wirtschaftshilfe und Steuererleichterungen hat Russland der Krim in Aussicht gestellt. Aber laut Einschätzung ukrainischer Analysten wird das kaum reichen, um Gehälter, Pensionen oder Sozialleistungen zu zahlen. Hinzu kommen der voraussichtlich einbrechende Tourismus (zwei Mio. Gäste 2013) sowie eine mögliche Krise in der von ukrainischem Wasser abhängigen Landwirtschaft.
Die Führung in Simferopol hat angekündigt, staatliche Betriebe auf der Krim zu "nationalisieren" – also in russisches Eigentum überzuführen: Darunter befinden sich das lokale Gasunternehmen (Gasfelder im Schwarzen Meer inklusive), Bahn-Anteile, aber auch die gesamte ukrainische Flotte. Betroffen sein könnten auch Töchter ukrainischer Agrar-Holdings.
Kiew hat bisher zwar versichert, der Krim nicht den Geld- und Energiehahn zudrehen zu wollen – die Geste ist aber auch Mahnzeichen, es jederzeit tun zu können.
Nach wie vor sind 10.000 ukrainische Soldaten auf der Krim. Ihre Belagerung durch "Selbstverteidigungskräfte" – Russlands Umschreibung für das, was augenscheinlich russische Spezialkräfte ohne Hoheitsabzeichen sind – ist zwar aufgehoben, aber ihr Verbleib ungeregelt. Bis 21. März wurde ein Waffenstillstand vereinbart, was danach passiert, ist völlig unklar.Aus Sicht der neuen Krim-Führung sind die ukrainischen Einheiten Besatzer. Am Montag wurde angekündigt, dass man die ukrainischen Einheiten auflösen werde.
Die Regierung in Kiew lenkt nicht ein. Vize-Premier Witali Jarema schloss einen Abzug ukrainischer Einheiten von "unserem Territorium" aus: "Wenn sie zu den Waffen greifen, werden auch wir zu den Waffen greifen." Verteidigungsminister Tenjuch: "Das ist unser Land, wir werden es nicht verlassen." Den Tatsachen beugen sich Geistliche. Vor allem die Vertreter der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche verlassen die Krim. Sie hat in Russland keinen legalen Status.
Am Montag erkannte Russland die Schwarzmeer-Halbinsel Krim offiziell als souveränen und unabhängigen Staat an. Präsident Putin unterzeichnete einen entsprechenden Erlass. Für ihn ist die Entscheidung damit abgesegnet. In Brüssel und Washington wurde am Montag wie erwartet die Gangart gegen Moskau verschärft: Sowohl die EU als auch die USA erließen Sanktionen gegen Politiker und Militärs, die für das vom Westen nicht anerkannte Referendum auf der Krim verantwortlich sein sollen.
Die EU-Außenminister einigten sie sich auf eine Liste von 21 Personen – 13 aus Russland, acht von der Krim –, gegen die Einreiseverbote und Kontosperren verhängt werden. Die USA erließen Visa- und Kontosperren gegen sieben russische Regierungsbeamte sowie vier ukrainische Politiker, unter ihnen Ex-Präsident Janukowitsch.
Auf der Liste der Amerikaner finden sich auch der russische Vize-Premier Dmitri Rogosin sowie die beiden Putin-Berater Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew. Das Trio soll auf der EU-Liste fehlen – wie zu hören war, gab es unter den Außenministern Unstimmigkeiten, wie "prominent" die Liste besetzt sein soll. Beim EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag könnte sie erweitert werden. Ebenso soll hier über weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen Russland beraten werden; auch die Absage des EU-Russland-Gipfels in Sotschi im Juni ist Thema.
Warnung vor Krieg
Die Abstimmung vom Sonntag wurde von den Außenministern als "illegal", die Eingliederung der Krim durch Russland als Verletzung des Völkerrechts verurteilt. Doch sei die EU wohl nicht in der Lage, dies aufzuhalten: "Heute segnen wir nicht irgendetwas ab, was illegal zustande kam. Aber realpolitisch müssen wir schon der Wahrheit in die Augen schauen", sagte Luxemburgs Vertreter Jean Asselborn. An der Lage auf der Krim könne man "nichts mehr ändern".
Der Tenor unter den Außenministern: Nun gelte es, mögliche Ambitionen Putins in der Süd- und Ostukraine zu stoppen. "Ich halte es für ein katastrophales Szenario und für brandgefährlich, wenn Russland weiterziehen würde", sagte Außenminister Sebastian Kurz.
Sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier sagte, es "kann nicht sein, dass fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder begonnen wird, Grenzen zu korrigieren – mit der Berufung auf Minderheitenrechte". Nun gehe es darum, "die bestehenden Spannungen nicht noch weiter zu eskalieren" – sonst könnte es "zu militärischen Konfrontationen zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften in der Ukraine kommen".
Russlands Präsident Putin will indessen seinerseits mit Sanktionen antworten. Diese sollen hochrangige Vertreter von US-Präsident Obamas Regierung sowie wichtige Senatoren treffen, berichtete das Online-Magazin The Daily Beast. Die Liste soll am Dienstag publik gemacht werden.
Der ukrainische Oligarch Dmitri Firtasch, 48, musste einen weiteren Tag in einer Zelle der Justizanstalt Wien-Josefstadt verbringen. Der Milliardär war am vergangenen Mittwoch auf Basis eines US-Haftbefehls wegen Bestechung und Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung festgenommen und in Auslieferungshaft überstellt worden. Das Wiener Landesgericht setzte eine Kaution von 125 Millionen Euro fest, bei Erlag dieser Summe könnte der Geschäftsmann das Gefängnis verlassen.
Die Transaktion verzögert sich jedoch. Für Dienstag ist die Buchung der Kaution in Rekordhöhe auf dem Konto der Verwahrungsstelle des Oberlandesgerichts Wien angekündigt. Nach erfolgter Überprüfung könnte Firtasch, dessen Vermögen auf drei Milliarden Dollar geschätzt wird, umgehend enthaftet werden. Das Gelöbnis, Österreich vorläufig nicht zu verlassen, hat er bereits abgelegt. Anwaltlichen Beistand erhält Firtasch von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer.
Der mit Banken- und Gasgeschäften reich gewordene Oligarch soll für Schürfrechte in Indien 18 Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt haben. Auch in der Schweiz, wo Firtasch ebenfalls tätig war, laufen Ermittlungen.
Die höchste bisher erlegte Kaution in Österreich von 100 Millionen Euro brachte Julius Meinl V. im April 2009 nach zwei Nächten hinter Gittern die Freiheit. 2013 bekam Meinl 90 Mio. zurück, das Verfahren läuft immer noch.
"Politik-Touristen" nannte sie der ukrainische Außenminister Andriy Deschtschiza; "Provokateure" oder "Kreml-Agenten" nennen sie Anhänger der Übergangsregierung in Kiew; einfach nur "Schläger" nennt sie Anna aus Charkiw in der Ostukraine. Die Rede ist von einem anhaltenden Strom an Russen, die in die Ostukraine pilgern, um dort politisch aktiv zu werden – für einen Anschluss der Region an Russland oder zumindest für eine weitreichende Autonomie der Regionen Donezk und Charkiw.
Es sind jene Gebiete, in denen in den vergangenen Wochen wechselweise russische oder ukrainische Fahnen auf Regierungs- und Verwaltungsgebäuden geweht hatten – je nachdem, wer gerade die Kontrolle über die Bauten hatte. Es ist vor allem diese Region, die dem ukrainischen Übergangskabinett derzeit weitaus mehr Kopfzerbrechen bereitet als die Abspaltung der Krim. Doch mit der Abspaltung der Krim hat das pro-russische Lager im Osten der Ukraine gewissen Aufwind erfahren. Die Ironie an der Sache: Sehr oft sind es russische Skinheads und offen bekennende Neonazis, die in Donezk oder Charkiw gegen das aus ihrer Sicht "faschistische" Regime in Kiew aufmarschieren.
"Wir sind sehr besorgt über die Anzahl russischer Soldaten an der Grenze", so Deschtschiza am Montag nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel. Es war bei dieser Gelegenheit, da er von "Politik-Touristen" in der Ostukraine sprach, um zugleich "Provokationen, die Russland zu organisieren versucht", anzuprangern. In Brüssel übergab Deschtschiza Rasmussen eine Liste mit benötigter Ausrüstung für die ukrainische Armee. Zuletzt hatte die NATO eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Ukraine angeboten.
"Wir leben von einem Tag auf den anderen, einmal ist es ruhig, einmal nicht", sagt Anna aus Charkiw. Die junge Frau sieht sich selbst als Russin und überlegt mit ihrem Mann nach Kiew zu fliehen, sollte die russische Armee kommen, um sie "zu retten", wie sie sagt. Um Charkiw werden Schützengräben ausgehoben. Hinter der nur 20 Kilometer entfernten Grenze werden Panzerverbände der russischen Armee gesammelt. In Charkiw starben am Wochenende zwei Menschen bei Schießereien zwischen Pro-Russen und Pro-Ukrainern. Und Moskau hat wiederholt den Willen bekundet, im Fall von Unruhen auch in der Ostukraine militärisch aktiv werden zu können.
Wegen der "Einmischung Russlands in die inneren Angelegenheiten" beschloss das Parlament in Kiew am Montag die Mobilmachung von 40.000 Reservisten für Armee und die neue Nationalgarde.