Kreuz, Bund, Riss - die Spaltung der Orthodoxie
Von Stefan Schocher
Es waren Kirchenmänner, die den Demonstranten am Maidan in Kiew während der Revolution vor fünf Jahren den Segen gaben. Es waren Kirchen und Klöster, die später im Laufe der Revolution zu Lazaretten wurden, als die Proteste eskalierten. Und zuletzt waren es Kirchenmänner, die auf dem Maidan aufgereihte Leichen von Revolutionären segneten, nachdem Scharfschützen in die Menge gefeuert hatten.
Zugleich waren es aber auch ukrainische Kirchenmänner, die zum landesweiten Synchron-Stoßgebet gegen die pro-europäische Revolte riefen. Und es waren Kirchenmänner, die ihre Gotteshäuser zu Bollwerken der „Russkij Mir“, der Russischen Welt machten.
Da die Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, da die Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Was sie eint: bittere Rivalität.
Es ist ein Machtkampf, der mit heutigem Tag zumindest formell beendet wird. Das Kiewer Patriarchat wird heute die Eigenständigkeit erhalten. So quasi als Geschenk zum Orthodoxen Weihnachtsfest am morgigen Sonntag. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist dazu eigens mit dem Mitte Dezember gewählten neuen Kirchenoberhaupt des Kiewer Patriarchats, Metropolit Epifanij, nach Istanbul gereist, um dort offiziell vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel (so etwas wie der Dachverband der Orthodoxen Kirchen) die Autokephalie genannte Eigenständigkeit verliehen zu bekommen. Am Samstag werden die Dokumente unterzeichnet. Am Sonntag werden sie im Rahmen der Weihnachtsfeierlichkeiten offiziell überreicht.
Bisher hatte das Kiewer Patriarchat quasi als orthodoxe Freikirche ohne internationale Anbindung existiert. Ihre Anerkennung durch Konstantinopel ist dabei der letzte Formalakt in einem turbulenten Prozess mit diplomatischer Strahlkraft.
Polit-Streit
Denn es ist ebenso wenig ein Zufall, dass Petro Poroschenko mit dem neuen Kirchenoberhaupt nach Istanbul reist, wie die russische Kakophonie gegen den Akt. Poroschenko muss im kommenden März Wahlen schlagen. Der seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 angestrebte Sieg auf Kirchenebene kommt mehr als gelegen.
Kirchliche und weltliche Autoritäten in Moskau hingegen schäumen. Denn mit dem Schritt der Anerkennung hat das Moskauer Patriarchat innerhalb des Regelwerks des Ökumenischen Patriarchats keinerlei Recht mehr, in der Ukraine aktiv zu sein. Das Moskauer Patriarchat aber kann durchaus als kulturelle Vorfeldorganisation des politischen Moskau und mitunter auch außenpolitisches Werkzeug des Kreml gesehen werden – was in der Ukraine wiederholte Male auch schon vor der Revolution 2013/2014 zu Zerwürfnissen geführt hat.
Hinzu kommen zwei kirchenhistorische Gründe, die jetzt aber von beiden Seiten breit ausgespielt werden: In der Ukraine liegen einige der größten Heiligtümer des Moskauer Patriarchats; und von Kiew aus wurde das Reich der „Kiewer Rus“ (das erste slawische Großreich, auf das sich die Ukraine wie auch Russland beziehen) christianisiert.
Moskau wirft Kiew jetzt vor, mit kirchlichen Fragen Politik zu machen – politisiert die Frage aber zugleich selbst. Der Politikwissenschafter Tornike Metreveli von der Universität St. Gallen führt gar die Eskalation zwischen der Ukraine und Russland vor der Straße von Kertsch am 25. November 2018 auf den Kirchenstreit zurück.
Am Vortag des Zusammenstoßes zwischen russischer Küstenwache und einem ukrainischen Flottenverband hatte das ukrainische Justizministerium dem Kloster Pochayiv Lavra in der Stadt Potschajiw die Registrierung entzogen. Nebst anderen möglichen Anlässen sei der Zwischenfall viel eher als „Botschaft an die Ukraine“ zu verstehen gewesen, „zwei Mal zu überlegen, ob man die russische Kirche in der Ukraine anfassen soll“. Dabei habe der Kreml klar gemacht, dass man das Moskauer Patriarchat „uneingeschränkt unterstützen“ werde.
Bruch der Orthodoxie
Auf Kirchenebene hatte der Streit den Bruch des Moskauer Patriarchats mit Konstantinopel zur Folge. Damit hat die Moskau-treue Kirche in der Ukraine nun formell jenen Stand, den das Kiewer Patriarchat zuvor hatte: Den einer Freikirche. Allerdings unter ganz anderen Vorzeichen: Denn mit der Rückendeckung des Kreml treibt das Moskauer Patriarchat nun die Spaltung der Orthodoxie voran. Die Serbisch Orthodoxe Kirche hat bereits ihre Loyalität zu Moskau erklärt, formal aber noch nicht mit Konstantinopel gebrochen. Ansatzpunkte hätte Moskau etwa auch in Armenien oder Syrien. Und nebst russischen Kirchenmännern wurden auch russische Politiker nicht müde, dem Ökumenischen Patriarchat mehr oder weniger offen mit einer Kirchenspaltung und einem offenen Machtkampf innerhalb wie außerhalb der Kirchenränge zu drohen.
Ein Machtkampf ist es auch in der Ukraine. Dabei haben die ukrainischen Behörden bereits klar gemacht, dass man die russische Orthodoxie außer Landes sehen möchte. Klöster, Wohnungen von Priestern und Popen sowie Kirchen des Moskauer Patriarchats wurden von Sicherheitsdiensten durchsucht. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen wurden breitenwirksam den Medien präsentiert: Goldbarren, Luxusgüter aller Art, Sex-Spielzeuge. Und in Einzelfällen wurde religiösen Stätten auch die Registrierung entzogen.
Rein administrativ ist das einfach. Denn Formell gehören die Liegenschaften des Moskauer Patriarchats in der Ukraine dem ukrainischen Staat, der sie verpachtet. Politisch birgt das Vorgehen aber Risiken. Denn auf eines kann das Moskauer Patriarchat zählen: Auf eine im Vergleich zum Kiewer Patriarchat zwar zahlenmäßig unterlegene, aber höchst, bis in den Fanatismus motivierte Anhängerschaft.
Hintergrund: Die Spaltung
Das Kiewer Patriarchat Seit der Christianisierung der Kiewer Rus (erstes slawisches Großreich auf das sich heute Russland wie die Ukraine berufen) 988 existierte das Patriarchat als „Metropolit Kiews und der gesamten Rus“ bis 1686. Danach war Kiew Moskau untergeordnet. 1992 gründete sich das Patriarchat als Kiewer Patriarchat ohne Anspruch Regionen außerhalb der Ukraine neu.
Das Moskauer Patriarchat Es versteht sich heute als Patriarchat Moskaus und der gesamten Rus - was im heutigen Sprachgebrauch inetwa der "russischen Welt" entspricht. Das Patriarchat existierte seit 1589, beanspruchte mit dem Aufstieg Moskaus aber bald das Erbe des Kiewer Patriarchats (Christianisierung der Rus). 1721 wurde das Patriarchat aufgelöst, das Zarenhaus wollte den Klerus besser kontrollieren und enger an sich binden. 1917 wurde das Patriarchat neu gegründet.