Kampf für Gleichberechtigung: Schweizer Frauen verweigern Arbeit
Von Irene Thierjung
Sind am Freitag Kindergärten und Schulen geöffnet? Kann man wie gewohnt beim Supermarkt ums Eck für das Wochenende einkaufen? Mit Fragen wie diesen beschäftigten sich die Schweizer Medien in den vergangenen Tagen intensiv.
Grund ist der für Freitag ausgerufene „Frauenstreik“: Landesweit wollen Frauen ab 11 Uhr zumindest zeitweise ihre Arbeit niederlegen, um auf die wirtschaftliche Benachteiligung aufmerksam zu machen. Flankiert wird der Streik von teils kreativen, teils skurrilen Protestaktionen in Betrieben, Dörfern und Städten. Sogar das Parlament in Bern wird seine Sitzung für 15 Minuten unterbrechen.
"Das brennendste Thema"
„Der Frauenstreik ist in der Schweiz gerade das brennendste Thema“, berichtet die Journalistin Nadine Brügger dem KURIER. „Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Karriere und Familie, sexuelle Gewalt, gläserne Decke – alles Stichworte, die überall diskutiert werden.“
500.000 Teilnehmer
Der Protest, der u. a. auch mehr Frauen in Politik und Führungspositionen fordere, wird laut Brügger landesweit großteils akzeptiert und von Bäuerinnen, Kulturschaffenden, Universitäten, Lehrbetrieben und der katholischen Kirche unterstützt.
Selbst konservative Parteien äußerten sich zuletzt zustimmend, auch wenn sie statt von einem Streik lieber von einem „Aktionstag“ sprechen.
Dass ohne die sichtbare und unsichtbare Arbeit von Frauen (wie etwa Pflege) nicht viel laufen würde, zeigten Frauen in der Schweiz bereits einmal, beim ersten Frauenstreik vor genau 28 Jahren. Damals war es erst zehn Jahre her, dass die Gleichstellung von Frau und Mann in der Verfassung niedergeschrieben wurde.
1991 beteiligten sich rund eine halbe Million Frauen am Frauenstreik. „2019 werden noch viel mehr Streikende erwartet“, glaubt Brügger.
Im Gespräch mit Frauen und auch Männern auf der Straße zeige sich, dass für die meisten das Mitmachen selbstverständlich sei. „In meinem Umfeld kenne ich kaum eine Frau – und nur wenige Männer –, die den Frauenstreik nicht unterstützen“, sagt Brügger.
Bereits seit Tagen wehen an vielen Häusern Flaggen mit dem Streiksymbol, einer erhobenen Faust, zahlreiche Social-Media-Userinnen schmücken ihre Profilbilder damit.
Job in Gefahr?
Unter Juristen ist umstritten, ob Arbeitnehmerinnen – und sie unterstützende Arbeitnehmer – durch ihren Protest Gefahr laufen, ihre Jobs zu verlieren. Immerhin handle es sich bei den Protesten streng genommen nicht um Streik, da es keine konkreten arbeitsrechtlichen Forderungen gebe, sondern allgemeine politische.
Einzelne Firmen wie etwa die Fluglinie Swiss haben ihren Mitarbeiterinnen eine Teilnahme am Streik untersagt, die meisten Firmen verlangen, dass sich die Beschäftigten einen Urlaubstag oder Zeitausgleich nehmen.
Brügger ist trotzdem optimistisch. „Die größte Errungenschaft des Frauenstreiks – noch bevor er stattgefunden hat – ist für mich, dass Gleichstellung ein selbstverständliches Tagesthema geworden ist“, sagt sie. „Wie wichtig die Gleichstellung ist, haben nun endlich alle gecheckt.“