Politik/Ausland

Jemen: Keine Chance auf ein halbwegs normales Leben

Auch in jenen Städten im Jemen, in denen es (vorübergehend) keine Kämpfe gibt, wird ums Überleben gekämpft. In der Luft liegt Gestank, in den Straßen steht das Wasser, der Müll häuft sich. Dazwischen spielen und betteln Kinder. Sie tragen schwere Krankheiten oder teils tödliche Infektionen mit nachhause, weiß Care-Nothelferin Jennifer Bose aus Bonn. Sie hat die vergangenen Wochen in Aden und Taiz verbracht und traf den KURIER, um ihre Einblicke zu teilen.

Während die Kriegstoten offiziell auf 70.000 geschätzt werden, seien seit Beginn der Kämpfe rund 200.000 Menschen ums Leben gekommen, sagt Bose. „Die wenigsten durch Luftangriffe. Tausende sterben durch Hunger, Cholera und andere Erkrankungen.“

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Jemen ist ein Land, das bereits vor dem Krieg bitterarm war. Doch die Lebensmittelpreise haben sich seit dem Beginn des Bürgerkrieges fast verdoppelt. Hinzu kommt, dass während der letzten vier Jahre die Inflation hochgeschnellt ist. Viele der Menschen, denen Care hilft, haben kein Geld, um sich Nahrung zu kaufen, viele haben Schulden beim Markt. Wegen des Krieges bleiben die meisten Arbeitsmöglichkeiten aus, Lehrer und Krankenhauspersonal arbeiten oft ohne Gehalt. Der Durchschnittslohn liegt bei rund drei Euro pro Tag, auch damit kommt man nicht weit.

80 Prozent der Bevölkerung, das sind mehr als 24 Millionen Menschen, sind auf Hilfe angewiesen, rund die Hälfte davon Kinder. „Ihnen fehlt es an den grundlegendsten Dingen“, sagt Bose zum KURIER: Lebensmittel, sauberes Trinkwasser, medizinische Versorgung. Während auch psycholgische Hilfe für die Menschen dringend notwendig wäre, ist diese aber längst zweitrangig geworden. Denn mehr als drei Millionen Menschen im Jemen sind akut mangelernährt.

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„Vielleicht wird über den Jemen nicht so viel berichtet, weil uns der Krieg in Europa nicht so sehr betrifft“, sagt die Deutsche Jennifer Bose, die mit der NGO Care im vergangenen Monat im Jemen Nothilfe geleistet hat. Aus dem Jemen kommen so gut wie keine Flüchtlinge nach Europa. Es gibt kaum Fluchtwege, der Flughafen in der Hauptstadt Sana’a ist seit drei Jahren für Geschäfts- und Zivilflüge geschlossen. Die Landwege sind zu gefährlich, die Busse kaum leistbar, von den Häfen legen so gut wie keine Schiffe ab.

Jennifer Bose war mehrere Wochen in der südlichen Hafenstadt Aden und in Taiz etwas weiter nördlich im Landesinneren. „Durch die Großflächigkeit des Konfliktes ist in dem Land wirklich jeder Einzelne betroffen“, schildert die Helferin. Auch alle lokalen Mitarbeiter von NGOs haben ihre eigene Geschichte zu erzählen. „Viele sind geflohen, haben Familienmitglieder verloren, ihre Häuser wurden zerstört. Manche erzählen, dass Leute vor ihren Augen erschossen wurden.“

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Die Perspektivenlosigkeit ist „herzzerbrechend“, sagt Bose. Das ganze Land ist laut UN-Beobachtungen um mehr als 20 Jahre zurückgeworfen worden. Eine ganze Generation ist verloren. Schulen sind zerbombt, viele Kinder (oft Mädchen) sind gezwungen, viel zu früh erwachsen zu werden. Weil sie sich um die Familie kümmern müssen, oder weil sie aus kulturellen oder oft aus finanziellen Gründen schon im Teenageralter verheiratet werden. Viele sind der (sexuellen) Gewalt von selbst durch den Krieg traumatisierten Männern ausgeliefert.