Corona-Chaos in Italien: 133 Tote an einem Tag
Die italienische Regierung ruft pensionierte Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger aus der Pension zurück. Man hofft, dadurch sehr schnell 20.000 zusätzliche Stellen zu besetzen.
Im Norden Italiens sind wegen der Coronavirus-Epidemie die Spitäler überlastet, insbesondere die Intensivstationen. In der Lombardei wird darüber nachgedacht, Nicht-Corona-Patienten in andere Regionen zu verlegen.
Nach offiziellen Angaben wurden bis Samstagabend etwa 5061 Ansteckungen bestätigt. 20 Prozent aller Infizierten brauchen Spitalpflege, die Hälfte von diesen, also 10 Prozent, braucht Intensivpflege – und zwar alle in Isolationsabteilungen. In der Lombardei kommen täglich um die 200 Patienten neu in Intensivpflege.
Alleine am Samstag soll es in der Lombardei über 100 Corona-Tote gegeben haben.
366 Tote in Italien
Die Gesamtzahl der am Coronavirus gestorbenen Menschen in Italien erreichte am Sonntag 366. Das entspricht einem Anstieg von 133 Toten seit Samstag. Die Zahl der Infizierten kletterte um 1.326 auf 6.387, sagte der Chef des italienischen Zivilschutzes, Angelo Borrelli, bei einer Pressekonferenz am Sonntagabend in Rom. 622 Personen seien inzwischen wieder genesen.
Touristen sollen Quarantäne-Zonen verlassen
Die Regierung rief zudem alle einheimischen und ausländischen Touristen zum Verlassen der Quarantäne-Zonen in Norditalien auf. In den betroffenen Regionen sollen Reisen aus touristischen Gründen vermieden werden, hieß es am Sonntag in einem Schreiben des Verkehrsministeriums in Rom.
Flughäfen und Bahnhöfe seien offen, Touristen könnten somit nach Hause zurückkehren, hieß es in dem Dokument. Touristen in anderen Regionen Italiens sollten sich an die Vorsichtsmaßnahmen der italienischen Gesundheitsbehörden halten.
Erschöpft, zermürbt
Besonders akut ist die Lage in den Spitälern von Codogno – hier entstand der erste Seuchenherd – sowie im benachbarten Lodi und in Cremona. In Lodi befinden sich laut einem Bericht des Corriere della Sera 110 Spitalangestellte als Patienten im eigenen Spital.
Das Personal ist so ausgedünnt, dass auf der Intensivstation in 12-Stunden-Schichten gearbeitet wird statt in 8-Stunden-Schichten. Physische Erschöpfung und psychische Zermürbung sind fast zwangsläufig zu erwarten. Im Mailänder Spital San Raffaele kam es in der Dialyse-Abteilung zu einem neuen Coronavirus-Ausbruch. Die ganze Abteilung wurde unter Quarantäne gestellt, das heißt, sie fällt aus.
An manchen Orten fehlt es an Gesichtsmasken, besonders in der Lombardei. Ärzte führen Rachenabstriche zum Teil völlig ungeschützt aus, mit hohem Ansteckungsrisiko für sich selbst. Die Weigerung Deutschlands und Frankreichs, mit Gesichtsmasken auszuhelfen, wird in den italienischen Medien als europäische Unfreundlichkeit angeprangert.
"Nationale Notlage"
„Wir stehen vor einer nationalen Notlage“ sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte. „Wir haben zwei Ziele: Die Ausweitung der Ansteckung einzudämmen und eine Überlastung der Krankenhauseinrichtungen zu vermeiden.“
Die Mobilität der 16 Millionen Menschen von den Marken in der Mitte Italiens bis Modena, Parma, Piacenza, Reggio Emilia, Rimini, Pesaro und Urbino, Alessandria, Asti, Novara, Verbano Cusio Ossola, Vercelli, Padua, Treviso und Venedig werde nicht komplett eingeschränkt. Aber man dürfe diese Zonen nur aus „ernsten und unvermeidlichen“ Anlässen betreten oder verlassen, etwa zum Zwecke der Arbeit oder aus familiären Gründen, hieß es.
Die Polizei könne Menschen anhalten. Alle Kinos, Theater, Museen, Sportklubs, Demonstrationen und viele andere Veranstaltungen müssen schließen oder fallen aus. Ausgesetzt werden auch Trauerzeremonien und Hochzeiten.
Gudrun Hager, Wirtschaftsdelegierte der WKO in Mailand, überrascht dieser Schritt nicht: „Zuletzt waren die Straßen in Mailand schon wie ausgestorben.“ Der abrupte Anstieg der Neuinfektionen in den letzten Tagen hätte dann den Ausschlag gegeben. „Die meisten Menschen hier gehen pragmatisch mit der Situation um und versuchen nun einmal herauszufinden, was die aktuelle Situation bedeutet.“ Denn auch das aktuelle Dekret lasse einigen Interpretationsspielraum.
Für die Wirtschaftsdelegierte geht es derzeit darum auszuloten, wie sehr sich die Mobilitätsbeschränkungen auf den Handel auswirken. Im Privatleben beschäftige die Leute hingegen eher, wie sie ihre Kinder betreuen, schließlich sind Schulen und Unis geschlossen. „Bars und Restaurants haben nur bis 18 Uhr geöffnet und zwischen den Tischen muss ein Sicherheitsabstand eingehalten werden. Die Menschen hier wissen, dass sich Leben in den nächsten Wochen teils drastisch verändern wird.“
„Kühn und mutig“
„Kühne, mutige Schritte“ nannte der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, die drastischen Maßnahmen der italienischen Regierung, um die Virus-Verbreitung zu verlangsamen. „Sie bringen wahre Opfer“, schriebt er auf Twitter.
Für viele Italiener sind die teils widersprüchlichen Informationen der Regierung auch ärgerlich. Keiner weiß, wie lange Züge noch fahren, wie lange die Flughäfen in den Sperrgebieten offen bleiben. „Wissenschaftlich unverhältnismäßig“ sei die Maßnahme mit Blick auf den Verlauf der Epidemie in Venetien, erklärte die Region. Der Bürgermeister von Asti, einer Provinz im Piemont, nannte die neue Maßnahme „Wahnsinn“.
In Süditalien, das zumindest offiziell noch keine hohen Fallzahlen hat, auch weil weniger getestet wird, geht die Angst vor den infizierten Norditalienern um. Wer aus den gesperrten Gebieten komme, müsse umgehend in Quarantäne, erklärt der Präsident der Region Apulien, Michele Emiliano: „Haltet ein und kehrt um, steigt am ersten Bahnhof wieder aus!“
Süditalien schränkt Verkehr ein
Südiatlien verschärfte jedenfalls die Vorsichtsmaßnahmen. Reisende aus dem Norden sollen identifiziert und unter Heimquarantäne gestellt werden.
Ein am Samstagabend von Mailand abgefahrener Nachtzug traf in Salerno mit fünf Stunden Verspätung ein, nachdem er wiederholt zu Kontrollen angehalten wurde. Viele Süditaliener versuchten am Sonntag, aus der Lombardei nach Hause zu reisen.
Alitalia stellt Flugbetrieb in Mailand-Malpensa ein
Die staatliche italienische Fluggesellschaft Alitalia stellt ab Montag den kompletten Flugbetrieb auf dem zweitgrößten Flughafen des Landes, Mailand-Malpensa, ein. Am Montagvormittag werde mit einer Maschine aus New York das letzte Alitalia-Flugzeug auf dem größten Flughafen der norditalienischen Wirtschaftsmetropole landen, hieß es.
Alitalia reduzierte zugleich den Flugbetrieb auf dem kleineren Mailänder Flughafen Linate und jenem Venedigs. Von Linate werde es nur noch nationale Flüge geben. Internationale Destinationen werden nur noch über Rom erreicht werden können. Auch aus Venedig werde es nur noch wenige Verbindungen geben.
Den betroffenen Passagieren bietet die krisengeschüttelte Fluglinie eine kostenlose Umbuchung bzw. Stornierung an.