Patt in Israel: "Netanjahu hat verloren, aber Gantz nicht gewonnen"
Der konservative Regierungschef Benjamin Netanjahu und sein Herausforderer Benny Gantz liefern sich wie schon bei den Parlamentswahlen im April ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Damals lag Gantz mit seinem Mitte-Bündnis Blau-Weiß gerade einmal 15.000 Stimmen hinter dem Langzeitpremier. Wer nach dem Wahlgang vom Dienstag die Nase vorne hat, war auch Mittwochvormittag noch unklar.
Weder das rechte noch das Mitte-Links-Lager hatt offenbar eine Mehrheit von mindestens 61 von 120 Parlamentssitzen für die Regierungsbildung. "Netanjahu hat verloren, aber Gantz hat nicht gewonnen", fasste der prominente israelische Fernsehmoderator Udi Segal die Lage zusammen. Man warte die offiziellen Ergebnisse ab, erklärten beide.
Gantz sprach sich wie Netanjahus Rivale Avigdor Lieberman, der bei der Wahl als Königsmacher gilt, für die Bildung einer "breiten Einheitsregierung" aus. Sein Ziel sei es, die israelische Gesellschaft wieder zu einen. Gantz ist aber nur zu einer Großen Koalition ohne Netanjahu als Regierungschef bereit. Als Grund nennt er die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen, der seit 2009 Ministerpräsident ist. Nach einer Anhörung im Oktober droht Netanjahu eine Anklage in drei Korruptionsfällen. Er soll unter anderem dem israelischen Telekom-Unternehmen Bezeq regulatorische Vorteile verschafft haben. Netanjahu bestreitet die Vorwürfe.
Netanjahu bleibt siegesgewiss
Netanjahu selbst zeigte sich siegesgewiss. In der Nacht auf Mittwoch kündigte er vor Anhängern in Tel Aviv an, er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer "starken, zionistischen Regierung" aufnehmen. Ziel sei es, eine "gefährliche, anti-zionistische Regierung" zu verhindern. Israel befinde sich an einem "historischen Punkt" mit riesigen Chancen und Herausforderungen, "allen voran die existenzielle Bedrohung Israels durch den Iran und seine Ableger". Es dürfe keine Regierung entstehen, die sich auf "arabische, anti-zionistische Parteien" stütze, betonte der 69-Jährige.
Liebermans Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) erhielt acht bis zehn Mandate. Er forderte am Dienstagabend eine "nationale, liberale, breite Regierung". Diese müsse aus seiner eigenen Partei, dem Likud und Blau-Weiß bestehen. Eine breite Koalition sei notwendig, weil Israel sich in einem Notstand befinde, erklärte Lieberman.
Das rechte Lager mit Netanyahus konservativem Likud, der Yamina-Partei von Ex-Justizministerin Ayelet Shaked und den strengreligiösen Parteien kam laut Prognosen auf 53 bis 55 Mandate. Die rechtsextreme Ozma Jehudit (Jüdische Kraft) scheiterte an der Sperrklausel von 3,25 Prozent.
Das Mitte-Links-Lager mit Blau-Weiß, der Arbeiterpartei, der Demokratischen Union und der Vereinigten Arabischen Liste erhielt 56 bis 59 Mandate. Die Vereinigte Arabische Liste wurde mit 11 bis 15 Sitzen drittstärkste Kraft im Parlament.
Rund 6,4 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die 120 Mitglieder der 22. Knesset in Jerusalem zu bestimmen. Das endgültige Wahlergebnis soll eine Woche nach der Wahl veröffentlicht werden.
Lieberman hatte Netanjahu nach einer Wahl im April seine Unterstützung verweigert. Deshalb war es dem Regierungschef trotz einer Mehrheit des rechts-religiösen Lagers nicht gelungen, erneut eine Regierung zu bilden. Lieberman fordert die Wehrpflicht auch für strengreligiöse Juden, die anderen ultra-orthodoxen Koalitionspartner lehnen diese jedoch ab.
Netanjahu wollte mit starken Ansagen punkten
Der seit zehn Jahren amtierende Ministerpräsident hatte im Wahlkampf mit Besuchen bei Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump punkten wollen. Zudem sorgte er für Aufregung mit der Bemerkung, dass ein neuer Gaza-Krieg unvermeidlich sei, und kündigte im Falle seiner Wiederwahl die Annexion weiter Teile des besetzten palästinensischen Westjordanlandes an. Herausforderer Gantz warb im Wahlkampf gezielt um die Stimmen der arabischen Israelis. Sie machen 21 Prozent der Bevölkerung aus, nahmen bisher aber nur unterdurchschnittlich stark an Wahlen teil.
Präsident Reuven Rivlin muss nun entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Dazu holt er sich von allen Fraktionen Empfehlungen für das Amt des Ministerpräsidenten ein.
Wer danach die größten Chancen für die Bildung einer Regierungskoalition hat, erhält dafür zunächst vier Wochen Zeit. Mit einer neuen Regierung wird frühestens Ende Oktober gerechnet.
Die Wahlbeteiligung war höher als vor einem halben Jahr und lag bis 21.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees bei 69,4 Prozent. Das sind 1,5 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im April zur selben Uhrzeit. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung beim letzten Mal bei rund 68 Prozent.