Israel: Netanjahus scheinbar sicherer Sieg wackelt
Von Norbert Jessen
Monatelang sprach alles für einen ungefährdeten Wahlsieg Benjamin Netanjahus bei den Wahlen am 9. April. Der israelische Langzeit-Premier (13 Jahre mit Unterbrechungen) und seine Likud-Partei führten in allen Umfragen haushoch in der Wählergunst.
Jetzt ist alles anders: Ex-Militärchef Benny Gantz (59) und Jair Lapid (55) von der Zukunftspartei teilten am Donnerstag mit, dass sie eine gemeinsame Liste bilden. Diese solle „Israels neue Regierungspartei werden“.
Die neue Liste Blau-Weiß (nach Israels Nationalfarben) wirbelt jedenfalls linke wie rechte Parteien durcheinander. Und die Zeitung Yedioth schreibt: „Israels nächster Premier muss nicht mehr Netanjahu heißen.“
Einigung auf Rotation
Das ungleiche Bündnis zwischen Newcomer Benny Gantz und seiner Widerstandskraft-Partei und der Zukunftspartei von Yair Lapid einigte sich noch kurz vor Schließung der Listen-Einschreibung über die Aufteilung kommender Sitze. Auch über eine Rotation zwischen Gantz und Lapid nach zweieinhalb Jahren an der Regierungsspitze wurde Einigung erzielt. Dafür blieben politische Fragen zum Teil noch offen.
Aber: „So groß sind die Unterschiede nicht“, hieß es aus der neuen Blau-Weiß-Liste. Im Wahlkampf wird sie vor allem bemüht sein, Wechselwähler auf der Rechten abzuwerben. Da kann es angeraten sein, strittige Punkte später zu klären.
Wahlthema: Sicherheit
Den Wählern zeigt sich die Partei mit drei Ex-Armeechefs in ihrer Führungsriege als Garant für pragmatische Sicherheitspolitik. Gantz war von 2011 bis 2015 Generalstabschef der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte und zuvor von 2005 bis 2007 Oberbefehlshaber des Israelischen Heeres. Er hatte erst im Dezember seine Partei Widerstandskraft für Israel gegründet, die in Umfragen auf den zweiten Platz vorrückte.
Der frühere Verteidigungsminister Moshe Yaalon hat sich der Partei angeschlossen. Auch der ehemalige Generalstabschef Gabi Ashkenazi wird mit von der Partie sein.
Yair Lapid ist Gründer und Vorsitzender der oppositionellen Zukunftspartei (Yesh Atid). Er wird in Israels liberaleren Kreisen seit Jahren als politische Hoffnung gehandelt. Die Zukunftspartei spricht sich für einen demilitarisierten Palästinenserstaat aus. Allerdings sollen dabei die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland Teil Israels bleiben sowie ganz Jerusalem die Hauptstadt des Landes sein.
Netanjahus Auftreten als „Mr. Sicherheit“ findet jedenfalls vor allem mit der Gantz-Partei in dem neuen Bündnis ein schweres Gegengewicht.
Erste Versuche Netanjahus, dies auszugleichen, kamen nicht besonders gut an. So beschuldigte er Gantz, in einer Militärkommission zusammen mit US-Generälen 2014 geheime Empfehlungen für Friedensverträge vorgelegt zu haben. Strittig ist ein Versuch Netanjahus, eine Liste kleiner rechter Parteien anzuregen. Allein hätten diese Parteien kaum die Sperrklausel überwunden. Netanjahu versprach ihnen dafür sogar Ministerien in einer zukünftigen Rechtsregierung. Doch die offen rassistisch auftretende Partei „Jüdische Macht“ könnte dadurch ins Parlament gelangen. Auch in Netanjahus Likud gab es dafür Kritik.
Auf der Linken könnte die jetzt alles überschattende neue Mitte ebenfalls noch eine gemeinsame Liste zwischen Sozialdemokraten und der linksliberalen Merez-Partei bringen. Beide Parteien gerieten in Umfragen bereits gefährlich nah an die Sperrklausel.
Anklage und Unruhen
Vor der Wahl stehen aber noch zwei wichtige Unbekannte. Die erste: In den nächsten Wochen könnte gegen Netanjahu Anklage wegen mehrerer Korruptionsvorwürfe erhoben werden. Bislang blieben seine Wähler ihm treu. Nach einer Anklage könnte sich dies ändern, vor allem wenn sich eine überzeugende Alternative anbietet. Die zweite: An Israels Grenzen drohen neue Gewaltausbrüche. Als Mr. Sicherheit hat Netanjahu in früheren Wahlkämpfen davon profitiert. Auch da gibt es diesmal Alternativen.