IS rückt trotz Luftschlägen auf Bagdad vor
Von Stefan Schocher
Schützenhilfe niederländischer Biker – drei Mitglieder einer Gang sollen aufseiten kurdischer Verbände im Irak gegen den IS kämpfen –, bitterböse Witze gegen den Islamischen Staat (IS) und Luftangriffe können den Vormarsch der Islamisten auf Bagdad anscheinend nicht stoppen. Vor allem im Norden und Westen der irakischen Hauptstadt kam es in den vergangenen Tagen vermehrt zu Kämpfen. Zuletzt sollen die IS-Verbände nur vier oder fünf Kilometer vom internationalen Flughafen entfernt gewesen sein. Über Vororten Bagdads stieg Rauch auf. Und in der Stadt explodierten in den vergangenen Tagen mehrfach Autobomben in vor allem schiitischen Vierteln.
Nur an einer Front scheint der IS an Boden zu verlieren: In Kobane, wo die internationale Allianz gegen den IS in den vergangenen Tagen massive Luftangriffe geflogen hatte und die kurdischen Verteidiger der Stadt anscheinend wieder Boden gutmachen können. Aber auch das nur äußerst langsam und gegen vehementen Widerstand der bestens ausgerüsteten IS-Verbände. Neben schweren Waffen der irakischen Armee könnten diese einem Bericht der New York Times zufolge auch in Besitz von Restbeständen irakischer C-Waffen sein. Unter Berufung auf US-Soldaten, die im Irak stationiert waren, hieß es, in den Jahren zwischen 2004 und 2011 seien bis zu 5000 C-Waffen-Geschoße gefunden worden (mehr dazu hier). Dass die Berichte unter Verschluss blieben, lag vermutlich daran, dass die Waffen aus Zeiten stammten, als Saddam noch Günstling der USA war. Sie wurden nach US-Bauplänen hergestellt. Die nicht auffindbaren irakischen C-Waffen waren eine der bittersten Niederlagen der US-Außenpolitik unter Ex-Präsident Bush. In dem Bericht heißt es zudem, nicht alle gefundenen Geschoße seien vernichtet worden. Wieso das nicht geschehen ist, bleibt unklar. Als Lagerstätte – es geht um Sarin und Senfgas – wird der einschlägig bekannte Militärkomplex Muthanna nordwestlich von Bagdad genannt, der mehrfach in CIA-Berichten auftauchte. Der Ort ist heute in der Hand des IS. Die irakische Regierung versicherte, alle dort gelagerten C-Waffen seien vernichtet worden.
Nach den bisher stärksten Luftangriffen des internationalen Bündnisses auf den "Islamischen Staat" (IS) haben kurdische Kämpfer die Dschihadisten in Nordsyrien etwas zurückgedrängt. Die Kurden konnten IS-Kämpfer am Mittwoch laut einem Aktivisten aus Teilen der Grenzstadt Kobane vertreiben. Auch die USA sprechen von Fortschritten und bemühen sich um eine größere Rolle der Türkei im Anti-Terror-Krieg.
US-Präsident Barack Obama betonte nach einem Strategietreffen mit mehr als 20 Militärchefs des Bündnisses gegen den IS, dass es zwar einige "wichtige Fortschritte" gegeben habe. Die Mitglieder der Koalition seien aber auf einen langen Krieg vorbereitet. "Es gibt keine schnelle Lösung", sagte der Präsident. "Wir befinden uns noch in der frühen Phase. Wie bei jedem Militäreinsatz wird es Tage des Fortschritts und Perioden des Rückschritts geben. Aber unsere Koalition ist gemeinsam diesem Langzeit-Einsatz verpflichtet."
USA wollen Türkei dabei haben
US-Außenminister John Kerry sprach Ankara am Dienstagabend in Paris eine wichtige Rolle im weiteren Vorgehen gegen die Sunnitenmiliz IS zu. "Die Türkei ist ein sehr geschätzter Partner in der Koalition." Er sei zuversichtlich, dass sie ihre Rolle "selber nach ihrem Zeitplan definieren wird". Später fügte er auch hinzu, dass die von den USA geführte Anti-Terror-Koalition auch Militäreinrichtungen in der Türkei nutzen dürfe. Einzelheiten dazu nannte er nicht.
Die USA fordern, dass die Türkei ihre Flugplätze für Luftangriffe auf den IS öffnet. Ankara verweigert das bisher. Sollte Kobane (Ayn al-Arab) in die Hände von IS fallen, hätten die sunnitischen Extremisten einen durchgängigen Grenzstreifen von mehr als 200 Kilometern zur Türkei unter ihrer Kontrolle.
Zuvor hatten die USA mit Unterstützung Saudi-Arabiens die bisher stärksten Luftangriffe auf den IS ausgeführt. Nach Mitteilung des Zentralkommandos in Tampa (Florida) wurden am Montag und Dienstag nahe der schwer bedrängten Enklave Kobane 21 Angriffe geflogen. Dabei seien mehrere Sammelpunkte, Gebäude, Fahrzeuge und Mörserstellungen der Jihadisten zerstört worden.
Das Strategietreffen in der Andrews-Kaserne wurde von US-Generalstabschef Martin Dempsey geleitet. Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Kanada, Australien sowie fünf arabische Staaten beteiligen sich in Syrien oder im Irak am Luftkrieg der USA gegen den IS. An den Gesprächen nahmen aber auch anderer Vertreter von Staaten teil, die sich auf andere Weise engagieren und Waffen an die Kurden im Nordirak liefert.
USA brauchen auch Russland
Im Kampf gegen den IS suchen die USA auch die Zusammenarbeit mit Russland. Kerry sprach mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Paris über einen engeren Austausch von Geheimdiensterkenntnissen über die Islamisten. "Wir beide erkennen die Notwendigkeit, ISIL zu zerstören und zu besiegen", fügte Kerry hinzu. Die russische Regierung lote auch Möglichkeiten aus, irakische Regierungstruppen zu bewaffnen und zu trainieren.
Der russische Regierungschef Dmitri Medwedew hingegen sieht wegen des Ukraine-Konflikts keine gute Basis für eine enge Zusammenarbeit mit Washington. Bei einer Rede über Gefahren für die Menschheit habe Obama jüngst Russland in einem Atemzug mit der Seuche Ebola und dem IS genannt. "Wie kann man also von einem Neubeginn (der Beziehungen) sprechen?", sagte Medwedew in einem Interview des US-Fernsehsenders CNBC, dessen Wortlaut das Regierungsamt in Moskau veröffentlichte.
Gegenregierung zu Präsident Bashar al-Assad
Die vom Westen unterstützte syrische Exil-Opposition hat in Istanbul nach langwierigen Verhandlungen unterdessen Ahmed Toma als Premier ihrer Übergangsregierung bestätigt. Toma sei mit 63 von 115 Stimmen gewählt worden, teilte die Nationale Syrische Koalition (NSC) auf Twitter mit. Toma war bereits vor zehn Monaten zum Regierungschef einer von der NSC initiierten Gegenregierung zu Präsident Bashar al-Assad ernannt worden, blieb jedoch in den eigenen Reihen umstritten.