Politik/Ausland

IS auf dem Vormarsch - Maliki befiehlt Luftangriffe

So etwas wie „Kompromiss“ kennt die Gruppe Islamischer Staat (IS) nicht. Krieg an allen Fronten, mit jedem, der den Allmachts-Anspruch der Gruppe nicht teilt oder infrage stellt – ein Konzept, das in seinem Wahnwitz zumindest bisher aufgeht: Nach schweren Kämpfen am Wochenende konnte die IS ihren ohnehin schon breiten Einflussbereich im Norden des Irak und in Syrien weiter ausdehnen. Große Gebiete nördlich der nordirakischen Stadt Mossul sind jetzt unter Kontrolle der IS. In diesem Gebiet befinden sich der größte Staudamm des Irak, die Mossul-Talsperre, sowie zwei Ölfelder. Vor allem Letzteres stärkt die IS weiter, die sich längst weniger aus Spenden als aus selbst erwirtschafteten Einnahmen finanziert.

Östlich von Mossul stürmten IS-Kämpfer die Stadt Sinjar. Örtliche Medien berichteten, in der Stadt seien gleich nach dem Einmarsch der IS 67 Männer hingerichtet worden – allesamt Angehörige der religiösen Minderheit der Jesiden, die sich geweigert hätten, zum Islam überzutreten. Kurdische Peschmerga-Milizen starteten am Montag eine Offensive gegen die IS in der Region. Einige Dörfer sollen zurückerobert worden sein. Die Regierung in Bagdad ließ am Montag wissen, man werde die Offensive der Peschmerga aus der Luft unterstützen.

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MassenfluchtInfolge des jüngsten Vormarsches der IS sind laut UNO mehr als 200.000 Menschen auf der Flucht. Laut UNO handelt es sich bei ihnen hauptsächlich um Jesiden, die sich vor allem in das Sinjar-Gebirge zurückgezogen hätten. Bei dem Gebirge handelt es sich um einen schmalen Bergkamm, der vollständig von IS-Gebiet umschlossen ist. Die Gegenoffensive der kurdischen Milizen zielt anscheinend ab, in dieses Gebirge vorzudringen. Laut UNO bahnt sich bei den Eingeschlossenen eine humanitäre Katastrophe an. Es fehle an Nahrung, Wasser und Medikamenten, hieß es in einer Stellungnahme der UNO.

Auch in Syrien rückten Einheiten der IS näher an kurdische Gebiete heran – während es auch wenige Kilometer vor Iraks Hauptstadt Bagdad schwere Kämpfe gab.
Ungeachtet all dessen dauert der Streit zwischen dem politisch schwer bedrängten irakischen Premierminister Nuri al-Maliki – ein Schiit – und seinen politischen Gegnern sowohl im Lager der Schiiten wie der Sunniten und Kurden weiter an. Heute soll das irakische Parlament erneut über einen Nachfolger beraten. Maliki weigert sich weiterhin, zurückzutreten. Eine Einigung schien unwahrscheinlich.

Machtverteilung im Irak

Schiiten, arabische Sunniten und Kurden leben im Irak in einer fragilen Balance. Das politische System des Landes versucht mit einer konfessionsgebundenen Ämtervergabe Stabilität zu garantieren. Die Methode ist zwar nicht in der Verfassung verankert, aber seit 2005 Praxis: So erhält das Amt des Parlamentspräsidenten ein Sunnit, Staatspräsident wird ein Kurde und Ministerpräsident ein Schiit.

Im Irak war bereits Ende April ein neues Parlament gewählt worden. Die Partei des Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki ging abermals als stärkste Kraft hervor - dennoch fehlt al-Maliki die Parlamentsmehrheit für eine neue Regierung.

Gemäß der Verfassung wurde zunächst der Parlamentspräsident gewählt. Ende Juli wurde nach langem Tauziehen der 76-jährige kurdische Politiker Fuad Masoum zum neuen Präsidenten des Landes gewählt. Am Donnerstag nun läuft für Masoum die Frist ab, den größten Parteienblock, also Al-Malikis Partei, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Erst dann kann ein Ministerpräsident bestimmt werden.

Seit der Machtübernahme der radikal-sunnitschen Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) in weiten Teilen des Irak droht das Land zu zerfallen. Mit der Ausrufung eines Kalifats hat so etwas wie eine Zeitwende im Nahen Osten eingesetzt.

Die Big Player im Irak-Konflikt bleiben die gleichen: USA, Iran, die Golfstaaten, Türkei und die Kurden. Die Verhältnisse zwischen Ihnen sind aber äußerst komplex und für Laien nur schwer verständlich.

Iran und USA

Rund 35 Jahren, seit der Islamischem Revolution mit dem Sturz des Schahs, der Geiselnahme von 52 US-Bürgern für 444 Tage 1979-1980 und der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran, herrscht diplomatischer Stillstand zwischen den beiden Staaten. In den vergangenen Jahren kam der Streit um das iranische Atomprogramm erschwerend dazu.

Die Machtübernahme der ISIS in machen Teilen des Irak veranlasst die amerikanische und iranische Regierung zu gemeinsamen Gesprächen. Während US-Präsident Barack Obama etwa 800 Militärberater nach Bagdad sendet, kann sich Irans Präsident Hassan Rohani Waffenlieferungen an das irakische Militär vorstellen. Warum? Der hauptsächlich schiitische Iran führt engste Beziehungen zur irakischen Regierung, die ebenfalls schiitisch dominiert ist. Gemeinsam will man die sunnitische ISIS-Bewegung stoppen.

Aber das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran ist trotz der gemeinsamen Vorgehensweise im Irak weiterhin angespannt. Vor allem der Bürgerkrieg in Syrien stellt derzeit eine unüberwindbare Hürde dar. Der Iran untersützt das Regime von Bashar al-Assad, das gegen die sunnitischen Rebellen vorgeht. Die USA hingegen stärken den Oppositionellen den Rücken, was der iranischen Regierung nicht gefällt.

USA und Golfstaaten

Kuwait, Bahrain, Saudi Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman (Golfstaaten) wollen gemeinsam mit den USA die Nuklearwaffen-Bestrebungen des Iran stoppen und somit den iranischen Einfluss in Nahost unterbinden.

Vor allem Saudi Arabien (mehrheitlich sunnitisch-wahabitisch) kämpft gegen den schiitischen Iran um die Vormachtstellung im Nahen Osten. Einer Meinung sind sich die USA und die Golfstaaten auch in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien: gegen Assad, für die syrischen Rebellen.

Aber die USA sind auf Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi Arabien nicht gut zu sprechen. Diese gelten nämlich als wichtige Finanziers der sunnitisch-militanten Bewegungen im Irak und Syrien.

In Katar ist auch der Sitz des TV-Senders Al Jazeera. Der Emir finanziert die ägyptische Muslimbruderschaft, was zu Spannungen zwischen Saudi Arabien und Katar führte. Die Golfstaaten wiederum lehnen die von den USA unterstützte schiitisch-dominierte Regierung Iraks ab - der irakische Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki ist ihnen ein Dorn im Auge.

Türkei und irakische Kurden

Ablehnend stehen sich die Türkei und die Kurden gegenüber. In den letzten Jahren gab es aber mehrere Annäherungsversuche, was zu einer breiten, finanziellen Beziehungen zwischen ihnen führte.

Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien ist ein großes Problem für die Türkei und für die dort ansässigen Kurden. Die türkische Regierung fürchtet weitere Flüchtlingsströme und neue Kampfhandlungen nahe der syrisch-türkischen Grenzen. Die Kurden fühlen sich von dem Vormarsch der ISIS bedroht - sie könnten kurdisch bewohnte Gebiete in Syrien übernehmen. Man einigte sich deshalb auf eine Zusammenarbeit in Syrien.

Aber die Regierung in der Türkei ist über den Erfolg der Kurden über die sunnitische ISIS im Irak besorgt. Die Türkei befürchtet, dass die Autonomiebestrebung (siehe hier) der irakischen Kurden auf die kurdische Bewegung in der Türkei überspringen könnte. Deswegen misstrauen die Kurden jegliche Intervention der Türkei im Irak - es könnte ein Hinterhalt sein.

Kurden und al-Malikis Regierung

Nachdem der Präsident der autonomen Region Kurdistan im Nordirak, Masud Barzani, in einem BBC-Interview ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt hat, ist das Verhältnis zu al-Maliki noch angespannter. Wenn es um Öl-Gewinne, Grenzen und die Autonomiebestrebung geht, sind Kurden und die irakische Regierung gegensätzlicher Meinung,

Die Mehrheit der Kurden im Nordirak sind Sunniten. Regierungschef al-Maliki macht jedoch keine Anzeichen, für eine Einheitsregierung der Schiiten, Sunniten und Kurden weichen zu wollen. Die politische Partizipation der Kurden in Bagdad bleibt also weiterhin aus.

Aber Kurden und die Regierung al-Malikis machen sich gegen eine sunnitisch-militante Übernahme Iraks und Syriens stark. Gemeinsam gehen sie taktisch gegen die Terrorgruppe ISIS vor.

Golfstaaten und ISIS

Der gemeinsame Feind sitzt in Syrien: Bashar al-Assad. Durch finanzielle Mittel der Golfstaaten (Katar, Arabische Emirate und Saudi Arabien) werden die sunnitischen Rebellen im syrischen Bürgerkrieg unterstützt. Gemeinsam teilen sie auch eine Antipathie gegenüber schiitischen Regeln und dem iranischen Einfluss im Irak und in der Region.

Aber die Golfstaaten betrachten die Terrorgruppe ISIS und das Ziel eines kompromisslosen Kalifats als zu extrem und bedrohlich für den Nahen Osten. Die Rebellen sehen in den Golfstaaten korrupte Machenschaften und unreligiöse Ansichten, die mit einem islamischen Staat nicht vereinbar sind.