Politik/Ausland

"Türkei ist auf dem Weg in eine blutige Diktatur"

Internationale Tageszeitungen kommentieren am Montag den bevorstehenden EU-Türkei-Gipfel. Die konservative britische Times fordert am Montag dazu auf, trotz Flüchtlingskrise gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht zu nachsichtig zu sein:

"Weil sie in keiner guten Verhandlungsposition sind und Angst haben, einen strategisch wichtigen NATO-Partner zu verärgern, reden die Europäer des erschreckende Verhalten der türkischen Regierung in letzter Zeit klein, das in normaleren Zeiten eine schnelle und unverblümte Verurteilung verdient hätte. (...) Die Türkei ist als Verbündeter in einem brisanten Teil der Erde zu wichtig, als dass man ihr die kalte Schulter zeigen könnte. Aber die Notwendigkeit, Ankara zur Stabilisierung der Region in den Dienst zu nehmen, sollte den Westen nicht daran hindern, das zunehmend ungeheuerliche und unberechenbare Verhalten des Präsidenten anzusprechen."

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La Repubblica (Rom):

"Es gab keinen günstigeren Moment, um den autokratischen Druck in der Türkei zu erhöhen (...). Von den Vereinbarungen mit Erdogan hängen derzeit das Überleben von Schengen und die politische Zukunft von Angela Merkel (deutsche Bundeskanzlerin, Anm.) ab. Beim außerordentlichen Gipfel mit dem türkischen Ministerpräsidenten (Ahmet) Davutoglu wird die EU nun gezwungen sein, angesichts der Nachricht der Kontrollübernahme über die größte Tageszeitung des Landes ("Zaman", Anm.) den Kopf abzuwenden. Der türkische Präsident riskiert zwar, eine schüchterne Zurechtweisung für den x-ten Versuch der Unterdrückung der Pressefreiheit einzufahren, aber er sitzt am längeren Ast."

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Duma (Sofia):

"Zu Beginn der (Flüchtlings-)Krise konnten die Verwirrung und Hilflosigkeit der EU teils gerechtfertigt werden, heute sind sie aber gefährlich wegen der schwierigen Folgen, die schon sichtbar sind. Die Bilanz ist bisher tragisch - die Zahl der Sondertreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs liegt im umgekehrten Verhältnis zu den gefassten und umgesetzten Beschlüssen. Noch schlimmer ist die immer klarer werdende Idee, dass die explosionsgefährdete Balkanregion zur Pufferzone werden soll, die Europas Kern von den Zuströmenden (Migranten) schützen wird. Der Balkan soll die Staaten schützen, die die europäische Solidarität proklamieren, sowie die deutsche Kanzlerin, die sie (die Flüchtlinge) bedingungslos nach Deutschland einlud und ihnen das Gefühl gab, dass Europa und insbesondere Deutschland verpflichtet seien, sie aufzunehmen."

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Neue Zürcher Zeitung:

"Die Schließung der Balkanroute kann (...) nur kurzfristige Symptombekämpfung sein und ersetzt keine längerfristige Strategie. Diese muss darin liegen, klar zu sagen, wen Europa bereit ist aufzunehmen, Griechenland dabei beizustehen, die Kontrolle und Registrierung zu verbessern und eine europaweite Verteilung umzusetzen. Ein Kollaps des Landes unter der Last der Krise schüfe genau das Chaos, das die EU bekämpfen will."

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Münchner Merkur:

Die Türkei ist auf dem Weg in eine blutige Diktatur: Präsident (Recep Tayyip) Erdogan führt Krieg gegen die Kurden, er lässt Zeitungsredaktionen stürmen und an der Grenze syrische Flüchtlinge erschießen. Doch Berlin schweigt zu all dem. Denn (Bundeskanzlerin Angela) Merkel braucht Ankara. Als Partner für eine vorgeblich humanitäre europäische Flüchtlingspolitik, die die Schmutzarbeit anderen überlässt. Auch die übrigen Europäer ducken sich weg. Man stelle sich vor, die neun Syrer wären nicht an der türkisch-syrischen Grenze gestorben, sondern an der griechischen oder der mazedonischen. Der Aufschrei wäre um die ganze Welt gegangen. So aber gibt es vor dem heutigen EU-Schicksalsgipfel nur dröhnendes Schweigen. Zynisch könnte man sagen: Wenigstens hier ist Europas verlorene Einheit wieder hergestellt.

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Tagesspiegel:

"Die Flüchtlingskrise kann nur mit viel Geld und noch mehr Diplomatie da gelöst werden, wo sie entstand, in der mittelöstlichen Nachbarschaft Syriens. Aber dies endlich zu begreifen heißt einzusehen, dass auch dieser Gipfel keine Lösung bringen kann, sondern bestenfalls einen neuen, kleinen Schritt zum Ziel geht, ohne den genauen Weg dorthin wirklich schon zu kennen."

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Kölner Stadtanzeiger:

"Der türkische Premier Davutoglu selbst verknüpft die Flüchtlingsfrage mit den EU-Beitrittsverhandlungen. Was er aber nicht zu verstehen scheint: Eine weitere Annäherung an die EU kann es nur geben, wenn Ankara die Kopenhagener Kriterien für Beitrittskandidaten erfüllt. Dazu gehört ausdrücklich das Garantieren der Minderheitenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Meinungsfreiheit. Aber was in der Türkei derzeit passiert, geht in eine völlig andere Richtung. Seine Grundwerte darf Europa nicht preisgeben. Einen Rabatt kann die EU der Türkei in diesen Fragen deshalb nicht gewähren - und sei der Druck in der Flüchtlingskrise auch noch so groß."

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Nürnberger Nachrichten:

"Erdogan nutzt die prekäre Situation der Europäer in der Flüchtlingskrise - allen voran von Kanzlerin Merkel - für seine eigene Agenda, doch er handelt kurzsichtig. Denn gemessen an ihren langfristigen Interessen schneidet sich die Türkei ins eigene Fleisch, da auch diese Krise nicht ewig dauern wird. Erdogan macht die Türkei für den Westen unberechenbar. Der Ruf des Landes als verlässlicher Partner wird ruiniert. Wer in Europa wird Erdogan oder Ministerpräsident Davutoglu noch glauben?"

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Schwäbische Zeitung (Ravensburg):

"Europa ist eben nicht nur eine große Idee, sondern es bedeutet viel Arbeit mit sehr vielen Gipfeln und Beratungen. Aber ein Europa der nationalen Antworten auf internationale Krisen ist zum Scheitern verurteilt. Mit geschlossenen Grenzen würde es keinen florierenden Handel geben, in Forschung und Entwicklung würde der Kontinent endgültig den Anschluss an die Weltspitze verlieren. Europa setzt gerade seine Größe aufs Spiel - weil Einzelne meinen, individuelles Handeln sei besser als eine transnationale Lösung, die alle schützt."

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La Croix (Paris):

"Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan weiß, dass die EU ihn braucht - und verkauft sich teuer. Er akzeptiert die Rolle des Türstehers Europas, will aber auf der richtigen Seite der Tür stehen und sich keine Regeln aufdrängen lassen, die ihm nicht passen. So kann man auch die Zwangsverwaltung der Oppositionszeitung 'Zaman' interpretieren. Der Einsatz der Polizei wenige Tage vor dem Sondergipfel in Brüssel konnte sicherlich nicht ohne das grüne Licht des islamisch-konservativen Präsidenten erfolgen. Derweil gibt sich Europa, das den Flüchtlingsandrang bremsen will, angesichts dieser offensichtlichen Provokation bedeckt."