"Harte Probe für EU": Internationale Pressestimmen zur EU-Wahl
Nicht nur in den heimischen, sondern natürlich auch in den internationale Medien ist die EU-Wahl aktuell ein großes Thema. Hier eine Auswahl der internationalen Pressestimmen zur Wahl am 9. Juni.
"La Vanguardia" (Barcelona):
"Die erste Interpretation der gestrigen Europawahl ist, dass sich der Rahmen, in dem sich die Politik in Brüssel (...) bewegt, durch diese Ergebnisse nicht ändern wird. Es wird alles beim Alten bleiben.
Beginnen wir mit Europa: Die EU-Bürger blicken mehr nach rechts, aber die parlamentarische Mehrheit aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen, die die europäische Politik in den letzten Jahren de facto bestimmt hat, wird mit einem deutlichen Vorsprung weitermachen können. Die extreme Rechte ist gewachsen, aber nicht genug, um diese Mehrheit zu ersetzen, und eine der größten Bedrohungen für die Zukunft der EU ist verschwunden. Die rechtsextremen Parteien werden weiterhin die viert- und fünftgrößte Fraktion im Europäischen Parlament stellen.
Die große Überraschung des Abends war die Ankündigung von Emmanuel Macron, die französische Nationalversammlung aufzulösen und unmittelbar vor den Olympischen Spielen in Paris Neuwahlen anzusetzen. Eine Niederlage für seine Partei und ein Erfolg für Marine Le Pen waren erwartet worden, aber die Dringlichkeit, die Wahlen anzukündigen, sobald die Umfragen bekannt waren, ohne die Ergebnisse abzuwarten, war bemerkenswert."
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Die erste wichtige Abstimmung im neu konstituierten EU-Parlament ist die über die Besetzung des Spitzenamtes der Europäischen Kommission. Die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die besten Karten, zumal ihre Christdemokraten weiterhin die mit Abstand größte Fraktion stellen. Es wird erwartet, dass sie von der Mehrheit der Regierungschefs nominiert wird, aber letztlich wird das Parlament über die Ernennung entscheiden. (...)
Wenn alle Abgeordneten der proeuropäischen Fraktionen sie unterstützen, gibt es für Ursula von der Leyen kein Problem, aber danach sieht es nicht aus. Die französischen Liberalen, aber auch einige Sozialdemokraten und Grüne wollen sie nicht. In den kommenden Wochen wird von der Leyen mit den verschiedenen Fraktionen verhandeln, darunter auch mit der rechtsgerichteten Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR). Die Fraktion Identität und Demokratie (ID) hat sie wegen deren antieuropäischen und prorussischen Ansichten ausgeschlossen.
Auf der Grundlage dieser Gespräche wird von der Leyen das politische Programm der EU zusammenstellen, mit dem sie sich die nötigen Stimmen sichern will. Das wird eine Gratwanderung, denn je mehr sie nach rechts tendiert, desto mehr Stimmen verliert sie bei den proeuropäischen Gruppen."
"Tages-Anzeiger" (Zürich):
"Eigentlich bräuchte es jetzt ein starkes Europa, eine EU, die liefert und Antworten bereit hat. In Moskau macht Wladimir Putin keine Anstalten, seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine einzustellen. China greift mit Dumpingpreisen Europas industrielle Basis an, und im November droht in den USA möglicherweise ein Comeback von Donald Trump.
Doch nach der Europawahl vom Wochenende steht die Europäische Union geschwächt und verunsichert da. Der Vormarsch der Populisten und Rechtsextremen war zwar prognostiziert worden. Aber am Ende überrascht die Wucht doch, mit der in Paris Emmanuel Macron desavouiert und in Deutschland die regierenden Sozialdemokraten von Olaf Scholz deklassiert wurden.
In Paris ergriff Frankreichs Präsident die Flucht nach vorn und rief vorgezogene Neuwahlen aus. Es ist ein Schritt mit großem Risiko, nicht zuletzt für die EU, sollte Marine Le Pen mit ihrem rechtsextremen Rassemblement National Ende Juni ebenfalls die Parlamentswahlen gewinnen. Auch in Berlin sind möglicherweise die Tage der Koalition von Olaf Scholz gezählt.
Die rechtsextreme Welle trifft Europa mitten ins Herz. Frankreich und Deutschland geben in der EU oft Tempo und Richtung vor. Dieser deutsch-französische Motor wird noch weniger Zugkraft haben als bisher, vielleicht ganz ausfallen. Scholz und Macron dürften in nächster Zeit mit politischen Aufräumarbeiten und mit ihren nationalen Agenden beschäftigt sein."
"Rossijskaja Gaseta" (Moskau):
"Ungeachtet der Erfolge rechter und radikal linker Parteien, bleiben die wesentlichen proeuropäischen Parteien nach den Ergebnissen der Wahlen am Sonntag weiterhin die stärkste Kraft im Europaparlament ...
Die Rechten feiern einen Erfolg in Frankreich, wo die 'Macronisten' eine verheerende Niederlage erlitten. Aber nicht nur in Frankreich feierte die extreme Rechte am Sonntagabend. In Deutschland und Österreich erzielten populistische Parteien überwältigende Erfolge bei den Europawahlen, was wahrscheinlich die Verabschiedung von Gesetzen erschwert und im wichtigsten Gesetzgebungsorgan Europas Fragen nach der Zweckmäßigkeit der weiteren Unterstützung des Kiewer Regimes aufwirft ...
Prognosen nach können die hohen Wahlergebnisse der Ultrarechten, Nationalisten und Euroskeptiker sich in Allianzen im Parlament niederschlagen und die Zukunft des europäischen Blocks grundlegend ändern."
"La Repubblica" (Rom):
"Frankreich und Deutschland müssten wie immer die Lokomotive Europas sein, um es durch die großen Krisen, die uns umgeben, in eine neue Zeit zu führen. Jetzt ist dieser Zug stehen geblieben. Der gesamte Prozess der Stärkung der Union ist zum Stillstand gekommen.
Gerade zu einem Zeitpunkt, da Europa bei seiner Rolle und seinem politischen Gewicht einen Sprung nach vorn machen und eine souveräne Subjektivität bekommen müsste, um die Krisen zu bestehen, wird die Rechte den Prozess des europäischen Aufbaus blockieren - sehr zur Zufriedenheit von (Russlands Präsident Wladimir) Putin. Es sei denn, die Bürger nehmen sich nach diesem Alarmsignal ihre Geschichte und ihre Verantwortung zurück und vereinen sie in einem neuen europäischen Engagement: Es geht bergauf, aber das Spiel hat gerade erst begonnen."
"Dagens Nyheter" (Stockholm):
"Die extreme Rechte wird vorpreschen, hatten die Meinungsumfragen gewarnt. Somit bestehe auch die Möglichkeit, eine neue Art von Mehrheit im Europaparlament rechts der Mitte zu bilden, hieß es.
Das Wahlergebnis zeigt, dass die EU in Zukunft auf eine harte Probe gestellt wird. Doch die mathematische Gleichung ist nicht unwichtig: Zusammen bekommen die Parteien der beiden rechtsextremen Gruppen ID und ECR die Stimme von bis zu jedem fünften Wähler.
Das sind also nicht annähernd 51 Prozent - eine rechte Mehrheit existiert schlichtweg nicht. Die Mehrheit der Wähler ist vielmehr - auch bei dieser Wahl - in der breiten proeuropäischen Mitte zu Hause.
Diese Stimmen sagen mehr über die Wünsche der Europäer aus als das knappe Fünftel, das die extreme Rechte bekommen hat. Und diese Botschaft muss nun umgesetzt werden.
Es steht viel auf dem Spiel. Um die Ukraine unterstützen und den Klimawandel bewältigen zu können, muss die EU-Zusammenarbeit vertieft werden - und die Union muss zusätzliche Stärke sammeln. Das kann nur auf eine Weise geschehen: Die proeuropäische Mitte muss vorangehen."
"Handelsblatt" (Düsseldorf):
"Die Träume der Grünen von einer Kanzlerschaft sind wohl endgültig ausgeträumt. Obwohl mit dem Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg allen Wählerinnen und Wählern die Bedeutung des Klimaschutzes deutlich vor Augen geführt wurde, verlor die Ökopartei um die Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck die meisten Stimmen innerhalb der Koalition.
Eine neue Erfahrung für die Grünen. Ob sie daraus etwa in der Abschiebepolitik ihre Lehren ziehen, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich merken die Bürger zudem langsam, wie teuer die grüne Energiewende wird."
"Lidove noviny" (Prag):
"Viele Politiker haben uns versprochen, den Green Deal zu überdenken und den Verbrennungsmotor und damit die europäische Automobilindustrie zu retten. Zwar liegt es auf der Hand, dass man den Green Deal nicht mehr abschaffen kann, denn Europas Staaten und Firmen haben bereits enorme Investitionen getätigt. Doch es wäre angebracht, ihn zu überarbeiten, vor allem im Hinblick auf seine sozialen Auswirkungen. Denn es muss keine Katastrophe bedeuten, den Verbrennungsmotor durch die Elektromobilität zu ersetzen, solange man nur auf sozialistische Verpflichtungen und einen aktivistischen Zeitplan verzichtet.
Weit schlimmere soziale Auswirkungen dürfte indes die Verpflichtung haben, alle Gebäude bis 2050 klimaneutral zu machen. Das könnte zu einer enormen Verschuldung der Einzelnen und des Staates führen und den Wohnbestand in armen Mitgliedstaaten in die Hände von Banken und Immobilienspekulanten treiben. Wir sollten von denjenigen, die uns Versprechungen gemacht haben, nun Ergebnisse einfordern."