Politik/Ausland

Kiew während Besuch von UNO-Chef unter Raketenbeschuss

Während des Besuchs von UNO-Generalsekretär António Guterres in Kiew ist die ukrainische Hauptstadt erstmals seit rund zwei Wochen wieder mit Raketen beschossen worden. Bürgermeister Vitali Klitschko sprach am Donnerstagabend im Online-Dienst Telegram von zwei russischen Angriffen im Stadtzentrum. Nach vorläufigen Angaben wurden sechs Personen verletzt. Guterres sagte der BBC nach den Explosionen, er sei geschockt.

"Am Abend feuerte der Feind auf Kiew. Zwei Angriffe im Bezirk Schewschenkowsky", erklärte Klitschko. Drei Verletzte seien ins Krankenhaus gebracht worden. "Die Rettungsdienste und Einsatzkräfte arbeiten vor Ort."

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb auf Twitter von einem "hasserfüllten Akt der Barberei". Demnach wurde Kiew mit Marschflugkörpern beschossen. "Russland hat ein weiteres Mal seine Haltung gegenüber der Ukraine, Europa und der Welt gezeigt", schrieb Kuleba.

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Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podoljak forderte nach dem Beschuss, Russland den Sitz im UN-Sicherheitsrat abzuerkennen. "Raketeneinschläge im Zentrum von Kiew während des offiziellen Besuchs von António Guterres", schrieb er auf Twitter. "Gestern saß er noch an einem langen Tisch im Kreml und heute Explosionen über seinem Kopf", fügte er mit Blick auf den UNO-Generalsekretär hinzu.

Verstärkte Angriffe auf Osten und Süden

Mehr als zwei Monate nach Kriegsbeginn verstärkt Russland nach ukrainischen Angaben seine Angriffe auf den Osten und Süden des Landes. Das russische Militär beschleunige seine Offensiveinsätze, teilte das ukrainische Militärkommando zur Lage an der Hauptfront im Osten am Donnerstag mit. Es gebe aus fast allen Richtungen intensiven Beschuss. Auch Kiew sei "weiterhin keine sichere Stadt", warnt Bürgermeister Vitali Klitschko vor einer Rückkehr in die Stadt.

Die südukrainischen Städte Odessa und Mykolajiw sind laut Behördenangaben von russischen Truppen beschossen worden. "Mykolajiw wurde wieder von Schlägen der Mehrfachraketenwerfer des Typs Smertsch getroffen", teilte die Militärführung des Wehrbezirks Südukraine am Donnerstag auf ihrer Facebook-Seite mit. Durch den Beschuss seien Dutzende Privatwohnungen, Autos und Geschäfte beschädigt worden.

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Explosionen in Odessa

Auch aus der Millionenstadt Odessa wurden am Donnerstagabend Explosionen gemeldet. Der Leiter der örtlichen Militärverwaltung Serhiy Bratschuk versicherte allerdings, dass die Luftabwehr die Lage unter Kontrolle habe. Über Schäden wurde zunächst nichts bekannt.

Nach ukrainischen Angaben erfolgte der Hauptangriff Russlands in der Nähe der Städte Sloboschanske und Donez entlang einer strategisch wichtigen Straße, die die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw mit der von Russland besetzten Stadt Isjum verbindet. Der Gouverneur der Region Charkiw erklärte, dass die russischen Streitkräfte ihre Angriffe von Isjum aus verstärkten, die ukrainischen Truppen aber ihre Stellungen hielten. Nach Angaben des ukrainischen Militärs wurden durch russischen Beschuss in der Region mindestens drei Menschen getötet und sechs verletzt.

Raketenabschuss auf Cherson, Region will sich Russland anschließen

 Die Ukraine berichtete zudem von schweren Explosionen in der Nacht in der südlichen Stadt Cherson - der einzigen Regionalhauptstadt, die Russland seit Beginn der Invasion am 24. Februar eingenommen hat. Russische Truppen würden die gesamte umliegende Region beschießen und griffen in Richtung Mykolajiw und Krywyj Rih an, der Heimatstadt von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Süden des Landes.

Während der russischen Besatzung im Gebiet Cherson sind nach Angaben aus Kiew die Chefs von 35 der 49 Verwaltungseinheiten entführt worden. "17 von ihnen wurden freigelassen, aber viele sind in Gefangenschaft", schrieb die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denisowa, am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram. Die russischen Truppen "entführen und foltern die Bewohner der vorübergehend besetzten ukrainischen Gebiete, sie plündern Weltkulturerbestätten".

Selenskij würdigt Proteste

Der ukrainische Präsident würdigte unterdessen die pro-ukrainische Protestkundgebung im eroberten Cherson, die nach Angaben des ukrainischen Generalstaatsanwalts von russischen Kräften mit Tränengas und Blendgranaten aufgelöst wurde. "Ich bin allen dankbar, die nicht aufgegeben haben, die protestieren, die die Besatzer ignorieren und den wenigen Menschen, die zu Kollaborateuren geworden sind, zeigen, dass es für sie keine Zukunft gibt", so Selenskyj.

Kurz nach seiner Ansprache meldete die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf Sicherheitskreise, die Ukraine habe am Mittwochabend drei Raketen auf den Südteil der Stadt abgefeuert, zwei davon seien von russischen Besatzungstruppen abgeschossen worden. Ein RIA-Korrespondent vor Ort hatte zuvor von einer Serie schwerer Explosionen in der Nähe des Fernsehzentrums berichtet.
 

Ukrainischer Kampfjet abgeschossen

Russland meldete darüber hinaus den Abschuss eines ukrainischen Kampfjets vom Typ Su-24 in der Nähe des ostukrainischen Luhansk. Das russische Militär habe zudem vier militärische Ziele in der Ost-Ukraine mit Hochpräzisionsraketen getroffen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Dabei seien zwei Raketen- und Munitionslager nahe der Ortschaften Barwinkowe und Iwaniwka zerstört worden. Ein Vertreter prorussischer Separatisten in der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk" sprach zudem von mehr als 3.000 seit Kriegsbeginn gefangen genommenen ukrainischen Soldaten im Osten des Landes. Die Zahl ist nicht überprüfbar. Am Mittwoch hatte ein anderer hochrangiger Separatistenvertreter aus Donezk noch von 26.000 Gefangenen gesprochen.

Auch in Kiew dürfte die Lage weiter schwierig sein. Bürgermeister Vitali Klitschko hat geflüchtete Einwohner erneut aufgefordert, vorerst nicht in die ukrainische Hauptstadt zurückzukehren. Zwar täten die ukrainischen Soldaten alles, um russische Raketen abzuschießen, sagte Klitschko am Donnerstag. Aber: "Kiew ist weiterhin keine sichere Stadt." Auch in den Vororten sei es gefährlich, weil dort noch nicht alle Minen geräumt seien. Es seien bereits Menschen getötet worden.

Die britische Außenministerin Liz Truss formulierte unterdessen das Ziel, russische Truppen vollständig aus der Ukraine vertreiben zu wollen. "Wir werden schneller handeln und weiter gehen, um Russland aus der gesamten Ukraine zu verdrängen", sagte Truss am Mittwochabend in London in einer Rede zur Sicherheitspolitik. Damit wären Kommentatoren zufolge auch die bereits 2014 von Moskau annektierte Halbinsel Krim und Teile der schon lange umkämpften Donbass-Region gemeint. Truss rief westliche Verbündete zu weiteren Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine auf - darunter auch Flugzeuge

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