Harte Folgen bei hartem Brexit
"Wir müssen jetzt die Nerven behalten", appellierte die britische Premierministerin Theresa May am Dienstag in ihrer Rede im Unterhaus an die Abgeordneten. Nur so könnten die Parlamentarier die Änderungen im Brexit-Vertrag bekommen, die sie fordern. May wünscht sich mehr Zeit und Unterstützung für Änderungen am Brexit-Vertrag.
Ob May mit ihren Durchhalteparolen erfolgreich sein wird, ist völlig offen. Am Donnerstag wollen die Parlamentarier erneut über weitere Schritte im Austrittsprozess abstimmen. Als neue Deadline für einen Brexit-Deal mit der EU nannte May den 26. Februar. Viel Zeit bleibt ja nicht mehr – in 45 Tagen tritt das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Das Scheidungsdatum ist mit 29. März fixiert.
Ob es einen geregelten Austritt (Soft Brexit) oder ein abruptes, chaotisches Verlassen der EU gibt (Hard Brexit), weiß derzeit noch niemand. In Brüssel hieß es nach der letzten Gesprächsrunde zwischen den Brexit-Unterhändlern lapidar, die Gespräche seien „konstruktiv“ verlaufen.
Job-Verluste
Für beide Szenarien haben Forscher des Centre of European Union Studies der Universität Salzburg wirtschaftliche Folgen berechnet. Gestern wurden die Ergebnisse in Wien präsentiert.
Und die fallen aus Sicht der Ökonomen dramatisch aus: Demnach müsste Österreich bei einem Hard Brexit mit einem Rückgang der Industrieproduktion – den die Experten als Annäherung an das Wirtschaftswachstum ansetzen – um ganze 4,5 Prozentpunkte rechnen, bei einem geregelten Austritt der Briten wären es 0,7 Prozentpunkte.
Für Großbritannien wären die Konsequenzen eines harten Brexit noch dramatischer: Um 7,5 Prozentpunkte würde die Industrieproduktion in den ersten zwei Jahren nach dem EU-Austritt einbrechen, bei einem weichen Brexit wäre das Minus 1,3 Prozentpunkte. „Es ist unübersehbar, dass der Brexit schwerwiegende Folgen haben wird, besonders für Großbritannien“, erklärte Sonja Puntscher Riekmann, Leiterin des Centre of European Studies. Käme es zu einem sanften Ausstieg, „tritt für das Vereinigte Königreich eine Übergangszeit bis Ende 2020 ein, wo sich ökonomisch nichts ändert, die Briten sich an das gesamte EU-Recht halten müssen, aber nicht mitwirken“, sagte Stefan Griller, Professor für Europarecht der Uni Salzburg.
Andere Ökonomen ziehen diese drastischen Ergebnisse freilich in Zweifel. Die Industrieproduktion sei gerade für das Vereinigte Königreich ein ungünstiges Maß, wo die Finanzindustrie eine überdimensionale Rolle spielt.
Und zum Vergleich: Ifo-Ökonom Gabriel Felbermayr, der Handelsexperte schlechthin, errechnete jüngst für unterschiedliche Hard-Brexit-Szenarien einen Rückgang der britischen Wirtschaftsleistung zwischen 1,1 und 1,7 Prozent. Irland wäre mit einem Einbruch um zwei Prozent am stärksten betroffen – Österreich mit schlimmstenfalls minus 0,12 Prozent kaum.
Bis zu 6000 JobsVergangene Woche wurde eine Studie publiziert, wonach hierzulande bei einem Hard Brexit 6000 Jobs wackeln. „In Österreich könnten direkt 2000 und indirekt 4000 Arbeitsplätze betroffen sein“, sagte Oliver Holtemöller, Wirtschaftsprofessor an der Universität Halle-Wittenberg zur APA. In Deutschland sind die Arbeitsplätze von mehr als 100.000 Menschen durch eine Brexit ohne Abkommen bedroht.
Derzeit spießt sich eine Einigung zwischen Brüssel und London an der Grenzfrage zwischen Nordirland (Teil des Vereinigten Königreiches) und Irland (Teil der EU). Die EU lehnt eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland ab.
Puntscher Riekmann beschreibt die Pattstellung zwischen EU und London: „Man wartet, bis der Erste zurückzieht und verloren hat – was dann passiert ist offen.“ In Politkreisen wird jedoch erwartet, dass es in letzter Sekunde eine Einigung auf den Austrittsvertrag geben werde. Vermutlich mit einem „Side Letter“ zu Irland, zum „Backstop“, dass dieser nicht – wie vorgesehen – ewig dauert, also eine Kündigungsklausel für die Briten eingebaut wird.
Blumen für Barnier
Lob gab es am Dienstag für Michel Barnier, dem Brexit-Chefverhandler der EU, von der EU-Bürgerbeauftragten Emily O-Reilly. Barnier habe mehr als 100 Dokumente veröffentlicht, seinen Verhandlungskalender ins Netz gestellt und Termine nur mit registrierten Lobbyisten gemacht. „Das hat der EU geholfen, vereint zu bleiben“, bestätigte O’Reilly.