Politik/Ausland

Eine Insel voller EU-Skeptiker

Wirtschaftswachstum hin, Arbeitslosigkeit her, Klima- und Datenschutz schön und gut – geht es nach dem britischen Europa-Minister David Lidington, dann sollte sich die nächste EU-Kommission zunächst um etwas ganz anderes kümmern: "Die erste Priorität sollte sein, dass die britischen Wähler sich wieder wohler fühlen mit der EU."

Lidington referierte am Dienstag darüber, was sich aus britischer Sicht in der Union ändern müsse: Die Niederlassungsfreiheit, ein Grundrecht in der Union, soll eingeschränkt werden, um die Sozialsysteme zu schützen; die Euro-Staaten sollen nur dann enger zusammenarbeiten dürfen, wenn dies den Nicht-Euro-Staaten recht ist; nationale Parlamente sollen bei Gesetzesvorschlägen der Kommission eine "Rote Karte" ziehen dürfen. Der Auftritt des Europaministers in Brüssel passt zum EU-Wahlkampf auf der Insel, der ein Anti-EU-Wahlkampf ist.

UKIP liegt auf Platz eins

In den Umfragen liegt mit gut 30 Prozent der Stimmen die UK Independence Party (UKIP) voran, die den Austritt Großbritanniens aus der EU zum Ziel hat. UKIP setzt auf einen brachialen Anti-Brüssel-Wahlkampf – und scheint damit einen Nerv zu treffen.

Es vergeht zwar keine Wahlkampf-Woche, in der nicht ein UKIP-Kandidat bzw. -Abgeordneter mit rassistischen, schwulenfeindlichen oder schlicht völlig absurden Äußerungen auffällt – geschadet hat es der Partei bislang nicht. Ebenso wenig, dass UKIP-Chef Nigel Farage auf der einen Seite gegen die überbezahlten, verbandelten Eurokraten wettert – und gleichzeitig seine eigene Frau (eine Deutsche!) aus EU-Mitteln als Assistentin bezahlt.

Farage sieht sich Anführer einer "Armee des Volkes" und treibt damit vor allem die Konservativen, deren Wähler in Scharen zu UKIP wechsel, vor sich her. Die Tories liegen in EU-Umfragen mit 20 Prozent hinter Labour (rund 30) auf Platz drei, Nervosität macht sich breit. Premierminister David Cameron, der UKIP einst für "Spinner" hielt und ignoriert hat, wandte sich nun direkt an potenzielle UKIP-Wähler: "Ich verstehe, dass Sie vieles an der EU stört. Aber verschwenden Sie Ihre Stimme nicht an eine Partei, die nicht liefern kann. Wir können liefern."

Austritts-Abstimmung

Cameron hat für 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft versprochen – für den Fall, dass er nach der Wahl in einem Jahr noch an der Macht ist. Vor dem Referendum will er aber noch einen "neuen Deal" mit den anderen EU-Staaten verhandeln, damit die Briten doch dabeibleiben können.

Wie sehr sich nicht nur die Konservativen, sondern auch die Sozialdemokraten von Brüssel distanzieren, zeigt sich beim Rennen um den Posten des Kommissionschefs: Großbritannien ist das einzige Land, in dem die großen Parteien keinen der EU-weiten Spitzenkandidaten unterstützen. Labour verweigert die Gefolgschaft für den Kandidaten der Sozialdemokraten, Martin Schulz; Camerons Tories sind vor Jahren aus der Europäischen Volkspartei, die Jean-Claude Juncker ins Rennen geschickt hat, ausgetreten.

Die Nominierung des nächsten Kommissionspräsidenten durch die Staats- und Regierungschefs könnte so zum Testlauf für das Verhältnis zu den Briten werden: Man könnte ihnen zuliebe auf Schulz und Juncker verzichten – oder das britische "Nein" einfach überstimmen.