Groß-Demo gegen Erdogan in Köln
Von Walter Friedl
Sie kamen aus weiten Teilen Deutschlands und selbst aus dem Ausland, darunter auch einige Österreicher. Die einen reisten nach Köln, weil sie dort ihr großes Idol, den türkischen Premier Tayyip Erdogan, reden hören wollten; die anderen weil sie gegen ihn protestieren wollten. Ein massives Polizeiaufgebot sollte die beiden Lager, die auf jeweils 30.000 Türken geschätzt wurden, am Samstag trennen und eine Gewalt-Eskalation verhindern.
Schon zu Mittag sammelten sich am linken Rheinufer die ersten Demonstranten. Einige trugen Transparente mit der Aufschrift „Überall Taksim – Überall Widerstand“. Damit spielten sie auf die Kundgebungen gegen die islamisch-konservative Regierung auf dem Platz in Istanbul an. Andere trugen Sicherheitshelme mit dem Aufdruck „Soma“ und erinnerten an das Grubenunglück in der Türkei, bei dem 301 Bergleute ums Leben gekommen waren. Erdogan war wegen seiner unsensiblen Reaktion darauf (solche Unglücke passieren) und wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen in der Mine, die von einem der Regierung nahe stehenden Unternehmer gekauft worden war, heftig kritisiert worden.
Bilder: Jubel in der Halle, Demo in der Stadt
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Am späten Nachmittag hatte der türkische Premier dann seinen großen Auftritt vor rund 15.000 Anhänger in der Lanxess-Arena, die am rechten Rheinufer liegt. Seine Fans stimmten wahre Lobeshymnen an: „Die Türkei fühlt sich mit dir geehrt.“ Dann wurde aus dem Koran rezitiert, ehe der polternde Politiker loslegte. Ein Teil der deutschen Medien habe versucht, das Grubenunglück für sich auszuschlachten und die türkische Regierung beleidigt. Die Menge jubelte.
Offizieller Anlass der Rede war das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, die von der Regierungspartei AK-Partei unterstützt wird. Inoffiziell handelte es sich um eine Wahlveranstaltung in eigener Sache: Im August finden in der Türkei Präsidentenwahlen statt, bei denen Erdogan wohl selbst kandidieren wird. Und erstmals sind die rund 1,5 Millionen türkischen Wähler in Deutschland berechtigt, auch in der Bundesrepublik ihre Stimme abzugeben – früher mussten sie dafür in die Türkei reisen.
Der Auftritt des Premiers hatte in Deutschland bereits im Vorfeld für Kritik gesorgt. Köln SPD-Oberbürgermeister Jürgen Roters sprach von einer „gewissen Provokation nach dem schweren Grubenunglück und vor dem Hintergrund von gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Türkei“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihren Amtskollegen zur Zurückhaltung aufgefordert.
Die Bundesbürger lehnen laut einer Umfrage den Erdogan-Besuch mehrheitlich ab: 69 Prozent hielten ihn für „unangemessen“. Noch vernichtender fällt das Urteil über den Zustand der jetzigen Türkei aus. 81 Prozent gaben an, dass das Land kein demokratischer Staat sei. Nur zwölf Prozent sind für einen EU-Beitritt der Türkei, 77 Prozent sind dagegen. Elf Prozent plädieren überhaupt dafür, die Beziehungen zu Ankara abzubrechen.