Politik/Ausland

Griechenland: 11.000 Flüchtlingen droht Obdachlosigkeit

Zelte, in denen Wasser steht; Kinder, die in eisigem Wind spielen müssen, Krankheit und Gewalt: Die Berichte aus dem Flüchtlingslager Kara Tepe haben die Migrationskrise vor Weihnachten wieder in den Blickpunkt gerückt. Viele EU-Länder versprachen Hilfe vor Ort – Österreich in Form einer Kinderbetreuungsstätte. Die Frage, wie es langfristig in Griechenland weitergehen soll, will aber niemand beantworten.

Wie heikel die Lage ist, zeigten nun 73 Hilfsorganisationen in einem offenen Brief, wie die Nachrichtenagentur APA am Montag berichtete.

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Hintergrund ist ein Beschluss der konservativen Regierung in Athen, der im Juni in Kraft trat und bis zu 11.000 bereits anerkannte Flüchtlinge obdachlos machen könnte.

Um Platz auf den überfüllten Inseln zu schaffen, hatte die Regierung entschieden, dass asylberechtigte Flüchtlinge auf dem Festland binnen eines Monats nach Erhalt ihres Bescheids aus organisierten Unterkünften ausziehen müssen bzw. keinen Mietzuschuss mehr erhalten. Zuvor betrug die Frist sechs Monate.

"Auf eigenen Beinen"

Als anerkannte Flüchtlinge seien sie Griechen praktisch gleichgestellt und müssten „auf eigenen Beinen stehen“, zitiert die APA die Regierung. Das betrifft vor allem Flüchtlinge, die im Rahmen der von UNO und EU geförderten Programme „Estia“ und „Helios“ ein Dach über dem Kopf hatten. Ausnahme gibt es u. a. für Minderjährige oder kranke Menschen.

Viele Betroffene hätten wegen bürokratischer und sprachlicher Hindernisse keine Chance auf einen Job oder eine selbst gemietete Wohnung, warnen die Hilfsorganisationen. Corona erschwere die Lage zusätzlich.

Der Migrationsexperte Gerald Knaus, ein Architekt des Flüchtlingsdeals zwischen EU und Türkei 2016, bestätigt im Gespräch mit dem KURIER, dass anerkannte Asylberechtigte den Griechen weitgehend gleichgestellt seien. Allerdings erhielten beide Gruppen keine Unterstützung beim Wohnen.

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Ein Vergleich: In Österreich erhalten Asylsuchende während ihres Asylverfahrens Grundsicherung, der Staat kommt für Unterkunft und Verpflegung auf. Anerkannte Flüchtlinge verlieren die Grundsicherung vier Monate nach Erhalt des positiven Asylbescheids. Sie bekommen dann aber wie auch Österreicher Mindestsicherung, falls sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können.

"Unmenschlich"

Die griechische Position führe dazu, dass anerkannte Flüchtlinge auf der Straße landen, so Knaus, und sich dann oft auf den Weg in andere EU-Länder machen, „wo sie menschenwürdig behandelt werden“. Dortige Gerichte setzten Rückführungen anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland aus, weil ihnen eine „Verletzung der Menschenwürde“ drohe.

Derzeit befinden sich 19.000 Menschen auf den griechischen Inseln. Von diesen können laut Knaus die allermeisten mit Asyl rechnen.

Es brauchte daher jetzt eine Gruppe von EU-Ländern, die bereit sind, anerkannte Flüchtlinge vom griechischen Festland aufzunehmen, während Athen die Inseln, wo Bedingungen „unmenschlich“ seien, schnellstens evakuieren solle. „Das würde auch Länder wie Bosnien entlasten“, so Knaus, wo Menschen, die Richtung Mitteleuropa drängten, in der Kälte festsitzen.

"Bereits einmal gelungen"

Eine derartige Verteilung sei bereits einmal gelungen, erinnert Knaus. Nach dem EU-Türkei-Deal hätten einige Länder insgesamt 20.000 Menschen aus Griechenland aufgenommen. „Es ist nicht verständlich, dass über diese positive Erfahrung kaum geredet wird.“