Politik/Ausland

Österreich zieht sich vom Golan zurück

Mit ernsten Gesichtern gaben der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Verteidigungsminister Donnerstag um 17.30 Uhr in einer eilig einberufenen Pressekonferenz den Abzug der österreichischen Soldaten vom Golan offiziell bekannt. „Das Leben unserer Soldaten steht an oberster Stelle, ihre Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann. „Ich sehe keinen anderen Weg als die Soldaten so rasch wie möglich nach Hause zu holen“, betonte Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger. „Der Abzug ist eine Zäsur in der Geschichte des Bundesheeres“, erklärte sichtlich betroffen Verteidigungsminister Gerald Klug.

Er skizzierte, wie die Heimkehr erfolgen soll: Am 11. Juni sollen 220 von 380 Soldaten über Israel ausgeflogen werden. Das Flugzeug wartet schon in Tel Aviv. „Sollte sich die Lage zuspitzen, kann der Abzug innerhalb weniger Stunden erfolgen“, kündigt e Klug an. Spätestens in vier Wochen sollen alle Soldaten zurück sein.

Dem gemeinsamen Beschluss gingen hektische Krisensitzungen voraus. Intern war Donnerstagmittag klar, dass es zum Abzug kommt.

Am Morgen gab es schwere Gefechte zwischen syrischen Rebellen und Assad-Truppen in der „entmilitarisierten“ Zone auf dem Golan. Beim Überfall der Rebellen auf eine Polizeistation in Quneitra und der Rückeroberung durch Regierungstruppen kamen auch österreichische Blauhelme unter Feuer (siehe Bericht S. 3). Israel erklärte die Region um den Grenzübergang am Golan umgehend zum Sperrgebiet.

Rückgrat der Mission

Spindelegger informierte zu Mittag UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon. „Er war nicht erfreut“, sagte Spindelegger. Ganz unvorbereitet traf es den UNO-Chef nicht, seit Ende des EU-Waffenembargos gegen Syrien Ende Mai stand ja bereits ein möglicher Abzug im Raum. „Österreich ist das Rückgrat der Mission“, stellte eine UNO-Sprecherin fest.

Auch Israel wurde vom Außenminister verständigt. Israel erwartet von der UNO die Erfüllung des Waffenstillstandes zwischen Israel und Syrien zu sichern. Faymann telefonierte mit der EU-Spitze, er betonte, dass Österreich sein internationales Friedensengagement „auf keinen Fall“ zurückfahren werde.

Wie es mit der UNO-Mission weitergehe, das sei jetzt „Aufgabe der UNO in New York“, sagte Spindelegger. Einen Ersatz für die österreichischen Blauhelme gebe es noch nicht. Spindelegger kritisierte die Respektlosigkeit der Syrer gegenüber der UNO. „Gerade bei einem leicht bewaffneten Einsatz wie auf dem Golan muss ein Minimum an Respekt für die dort tätigen Soldaten da sein.“

Wie stark der Oberbefehlshaber des Bundesheeres, Heinz Fischer, in das Krisenmanagement eingebunden war, ist nicht nachvollziehbar. Er hielt sich am Donnerstag in Klagenfurt auf. Für Verwirrung sorgte seine Aussage zu Mittag, er sei gegen einen „unnötigen vorzeitigen Abzug“. Zu diesem Zeitpunkt war der Abzug praktisch fix.

Die Aussagen des Bundespräsidenten in der APA wurden später als „irreführend“ revidiert: „Die eigentliche Aussage hat darin bestanden, dass ein Abzug erfolgen wird, wenn es nötig ist.“ Am späteren Nachmittag sprach Fischer von einer „richtigen Entscheidung“.

Die Opposition verlangte zuletzt vehement die Soldaten-Rückholaktion. Dass sie jetzt erfolgte, wird von ihr begrüßt – „das Verteidigungsministerium ist zur Vernunft gekommen“, ließen die Grünen verlauten, die FPÖ sieht ein „Ende der Realitätsverweigerung der Bundesregierung“. Mit dem Schritt der Regierung wird das Thema jedenfalls aus dem Wahlkampf herausgenommen – österreichische Opfer auf dem Golan hätten der Koalition einen heißen Sommer beschert. Dazu Bundeskanzler Faymann: „Die Sicherheit der Soldaten ist unabhängig von Wahlterminen.“

Der Grenzposten Quneitra

Im Rahmen der UNO-Mission UNDOF (United Nations Disengagement Observer Force), die auf dem Golan die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen Syrien und Israel überwacht, sind rund 380 österreichische Blauhelme tätig. Ihr Einsatzgebiet liegt im Norden des Golans, Quneitra etwa in der Mitte zwischen Nord und Süd. Ein Abzug der österreichischen Soldaten aus Sicherheitsgründen wurde seit längerem diskutiert.

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Der Golan-Einsatz des österreichischen Bundesheeres

Durch den bisher folgenschwersten Angriff von Rebellen in der Truppentrennungszone auf einen Militärpolizeiposten am Golan wurden die österreichischen Blauhelme von der Umwelt abgeschnitten. Ein indischer Soldat wurde durch einen Granattreffer schwer verletzt.

Donnerstagfrüh überschlugen sich die Alarmmeldungen im Verteidigungsministerium: Durch einen Rebellenangriff auf eine Polizeistation in der syrischen Grenzstadt Quneitra lägen auch drei österreichische Positionen unter Feuer.

Bravo-Gate

Die Rebellen hatten eines der exponiertesten Ziele für ihren Angriff ausgewählt. Nämlich den „Bravo-Gate“ der syrischen Militärpolizei in Quneitra. Er ist Teil eines Checkpoint-Systems, mit dem Israelis, die UNO und die Syrer den Übertritt von UNO-Personal über die technisch hoch gesicherte Demarkationslinie kontrollieren.

Die Rebellen griffen gegen 4 Uhr 30 den relativ schwach besetzten Militärpolizeiposten an. Ein toter Militärpolizist wurde nachher auf der Straße liegend gesichtet. Einige sollen sich zu den Israelis in Sicherheit gebracht haben. Doch die Assad-Soldaten gingen mit Panzern und Granatwerfern sofort zum Gegenangriff über. Wie sie die schweren Kampffahrzeuge in die entmilitarisierte Zone gebracht haben, ist vorerst unklar. Sie konnten jedoch nicht verhindern, dass die Rebellen den Militärpolizeiposten besetzten.

Die UNO-Beobachterpositionen 22 und 27 liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zur umkämpften syrischen Polizeistation. Nach Meldungen von Blauhelmen, die jetzt im Bunker sitzen, hat es rund um ihre Positionen „fürchterlich gekracht“. Eine Granate verirrte sich auch über den israelischen Grenzzaun in das UNO-Camp Ziouani. Ein indischer UNO-Soldat wurde dabei durch Granatsplitter verletzt.

Donnerstagmittag schien sich die Lage wieder zugunsten der Assad-Armee zu drehen. Offenbar ist es ihr gelungen, den syrischen Checkpoint wieder zu besetzen. Ob durch Kampf oder durch den freiwilligen Abzug der Rebellen, war vorerst nicht klar.

Die Österreicher haben zwar keine Verluste zu beklagen. Doch ihre Situation ändert sich durch den Angriff auf den „Bravo“-Checkpoint enorm. Er war zuletzt die einzige Verbindung nach Außen. Denn auch die Autobahn nach Damaskus ist bereits über weite Strecken unter Kontrolle der Rebellen. Wenn nun auch der „Bravo“-Checkpoint zu ist, kann die für kommende Woche geplante Rotation nicht durchgeführt werden. Außerdem wären die Soldaten vom Nachschub abgeschnitten.

Evakuierung

Gefährdet sind dann auch die aktualisierten Evakuierungspläne des Verteidigungsministeriums. Denn diese sehen einen Abzug über Israel und Zypern vor. Diese Planungen wurden bereits im vergangenen November nach einem Schussattentat auf österreichische Soldaten am Flughafen Damaskus erstellt. Schon damals hatten einige Strategen im Ministerium böse Vorahnungen und meinten: „Wenn dann aber der Bravo-Gate in der Hand von Rebellen sein sollte, haben wir ein echtes Problem.“

Es ist gerade einmal zehn Tage her, dass die Regierung noch keinen Grund sah, die österreichischen UN-Soldaten vom Golan abzuziehen. Nach Ende des EU-Waffenembargos gegen Syrien werde man, trotz vorheriger Abzugsdrohung, die Lage weiter beobachten und „tagesgleich“ entscheiden.

Gestern musste minutengleich entschieden werden: Syrische Rebellen hatten in der Pufferzone den Grenzposten Quneitra eingenommen, die syrische Armee begann wenig später mit der Rückeroberung. Und mitten im schweren Artilleriefeuer und Panzerbeschuss: die Österreicher, deren Versorgung nur noch über diesen Grenzposten erfolgt.

Der Beschluss, unsere 380 Blauhelme vom Golan abzuziehen, ist die logische Folge und richtig.

Denn der UNO-Mission ist schon seit geraumer Zeit jeder Boden entzogen. Fast vier Jahrzehnte haben die Soldaten ihren Auftrag, Syrien und Israel auseinanderzuhalten, erfolgreich erfüllt. Das größte Kontingent stellte dabei Österreich. Doch inzwischen ist die sogenannte entmilitarisierte Zone zum Schlachtfeld im syrischen Bürgerkrieg geworden – Rebellengruppen haben sich festgesetzt und liefern sich schwere Gefechte mit den Assad-Truppen. Die Blauhelme können, wenn sie nicht gerade vorübergehend entführt werden, nur den Kopf einziehen und zuschauen.

Sturmgewehre gegen Krieg

Wenn Spaßvögel jetzt meinen, dass Soldaten mit gutem Sold eben nicht nur bei schönem Wetter, sondern auch im Krieg die Stellung zu halten haben, dann dürfen sie sich mit diesem Vorwurf nicht an Österreich, sondern allenfalls an die UNO wenden. Die Blauhelme der friedenserhaltenden Mission sind zur Verteidigung mit kugelsicheren Westen und Sturmgewehren ausgerüstet. Ansonsten bleibt ihnen nur der Bunker.

Das Gegenteil der Feigheit ist wahr: Die Österreicher haben so lange wie möglich ausgehalten. Und auch die Kritik der heimischen Opposition und/oder der Boulevardmedien daran geht fehl: Mit dem österreichischen Kontingent stand und fällt nun vermutlich die gesamte UNO-Mission – deren Auftrag ja immer noch ist, Syrien und Israel zu separieren. Ihr Ende bedeutet eine dramatische Verschärfung der Lage: Israel hat schon mehrfach präventiv Ziele in Syrien angegriffen (Waffenlieferungen an die Hisbollah), das syrische Regime droht, auch wenn es gegenwärtig ganz andere Sorgen hat, immer lauter mit Vergeltung. Fällt der Puffer zwischen den beiden Staaten weg, dann ist eine Eskalation hochgradig wahrscheinlich bis unvermeidlich.

Die Verantwortung, das zu verhindern, hat Österreich so lange wie möglich getragen. Jetzt geht es nicht mehr, ohne zum Kanonenfutter zu werden. Der anlaufende heimische Wahlkampf hat die Entscheidung vielleicht erleichtert. Unvermeidlich war sie so und so. Jetzt müssen die österreichischen Blauhelme nur noch gut aus dem Krieg kommen.

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