Gemeinsam gegen Orban: Ungarns Opposition will einen Spitzenkandidaten
Von Konrad Kramar
In der Hauptstadt Budapest hat Gergely Karacsony 2019 die Vormachtstellung von Viktor Orbans Fidesz gebrochen. Seither ist der 45-Jährige Sozialdemokrat Bürgermeister: Kann ihm das auch in ganz Ungarn gelingen? Die in Ungarn seit Jahrzehnten zersplitterte Opposition versucht derzeit erneut einen Schulterschluss und will mit einem gemeinsamen Kandidaten in die Parlamentswahlen im Frühjahr 2022 gehen. Favorit ist derzeit Karacsony.
Sechs Oppositionsparteien
Um die Orban-Ära zu beenden, wollen die sechs wichtigsten Oppositionsparteien einen gemeinsamen Kandidaten. Dieser Spitzenkandidat soll bei der Vorwahl im Herbst bisher unter fünf Kandidaten ermittelt werden. Dabei werden dem Linksliberalen Ko-Vorsitzenden der kleinen Partei „Parbeszed“ (Dialog) die größten Chancen eingeräumt.
Links bis rechts
Die fünf Kandidaten decken das politische Spektrum ab von links über linksliberal bis rechts. Außer Karcsony als gemeinsamer Kandidat von „Dialog“ und Sozialisten (MSZP), treten an: Peter Jakab, Chef der rechtsradikalen Jobbik-Partei, Andras Fekete-Györ von der liberalen Partei Momentum, Peter Marki-Zay von der Bewegung „Ungarn gehört einem Jeden“ und Klara Dobrev von der Demokratischen Koalition (DK). Marki-Zay hatte sich 2018 als Unabhängiger mit Unterstützung der Opposition den Bürgermeisterposten in der als Fidesz-Hochburg geltenden südungarischen Stadt Hodmezövasarhely sichern können.
Gute Chancen
Würde Karacsony die Vorwahl gewinnen, würden 90 Prozent der Anhänger der Opposition und 45 Prozent der unentschlossenen Wähler letztlich für das Bündnis der Opposition bei den Parlamentswahlen stimmen, konstatierte das Meinungsforschungsinstitut Publicus. Außer der Wahl des Spitzenkandidaten will die Opposition auch mit gemeinsamen Kandidaten in den Einzelwahlkreisen antreten.
Karacsony gilt unter den Kandidaten als der angesehenste und bekannteste Oppositionspolitiker Ungarns. Er hatte am Wochenende offiziell seine Kandidatur verkündet, mit dem vorrangigen Ziel, das gespaltene Ungarn wieder zu vereinen. Während die Orban-Regierung nur ein Prozent der Gesellschaft vertrete, „arbeiten wir für die restlichen 99 Prozent“, versprach Karacsony und forderte eine soziale und grüne Wende.
Als Vorteil gelte weiter, dass Karacsony über wichtige Erfahrungen hinsichtlich politischer Beschlussfassung verfügt, schrieb die Wochenzeitung „hvg“. Er habe es geschafft, dass Budapest trotz Daumenschrauben der Regierung funktioniert.
Neue Bewegung
Karacsony kündigte nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur zugleich die Gründung der überparteilichen, landesweiten „Bewegung 99“ an, hinter der bisher 99 linksliberale Persönlichkeiten stehen. Ein Programm werde erarbeitet, das die Grundlagen des Zusammenhaltes der Gesellschaft und des Rechtsstaates beinhaltet. Laut Karacsony sei es an der Zeit, eine neue Politik zu schaffen, die die Interessen von 99 Prozent der Bürger vertritt, anstelle des einen Prozentes der Reichsten. Der „Thron“ solle von der Bühne der ungarischen Politik verschwinden, damit die Macht für niemanden mehr Herrschaft bedeute, sondern nur Dienst, forderte Karacsony.
Meinungsumfragen sehen Fidesz und das Oppositionsbündnis Kopf an Kopf, was auf einen engen Wahlausgang hindeuten könnte. Orban regiert seit 2010, erzielte bei den Parlamentswahlen jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die ihm uneingeschränktes Regieren ermöglicht, wozu die Opposition mit Zersplitterung und Konkurrenzdenken assistierte. Dabei soll das Oppositionsbündnis als die einzige Chance gelten, die Orban-Ära zu beenden.