Politik/Ausland

Nach Enthauptung fragt "Charlie Hebdo": "Wer ist der Nächste?"

Frankreich ist zutiefst erschüttert vom Anschlag auf einen Lehrer, der für sein Eintreten für die Meinungsfreiheit sein Leben verloren hat. Die französische Nationalversammlung ehrte am Dienstag Samuel Paty mit einer Schweigeminute. Der 47-jährige Lehrer, Vater eines fünfjährigen Sohnes, hatte seinen Schülern im Staatsbürgerunterricht in einem Vorort von Paris Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt und darüber debattiert. Eine Schülerin filmte mit, der Vater startete eine Hetzjagd im Internet - mit tödlichen Folgen.

Paty war am vergangenen Freitag Ermittlern zufolge von einem 18-jährigen Tatverdächtigen in einem Pariser Vorort auf offener Straße enthauptet worden. Der Vater der Schülerin, der gegen Paty im Netz mobilisiert hatte, hat nach Angaben aus Ermittlerkreisen am Tag des Anschlags WhatsApp-Nachrichten mit dem 18-Jährigen ausgetauscht. Dafür gab es allerdings keine offizielle Bestätigung. 

Schüler festgenommen

Dienstagabend waren insgesamt 16 Menschen in Polizeigewahrsam, darunter der Vater der Schülerin. Die Halbschwester des Mannes soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) nach Syrien gegangen sein.

Nach Angaben der Behörden sind zudem Familienangehörige des Täters sowie fünf Schüler aus Conflans-Sainte-Honorine, wo der Geschichtslehrer gearbeitet hatte, in Polizeigewahrsam. Ermittlerkreisen zufolge stehen einer oder mehrere Schüler im Verdacht, dem 18-jährigen Täter tschetschenischer Herkunft Hinweise auf das Opfer gegeben zu haben, möglicherweise gegen Geld.

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Sollten sich diese Hinweise verdichten, wird das ein weiterer Schlag für die Menschen, die um Samuel Paty trauern. Dienstagabend versammelten sich vor der Schule in Conflans-Sainte-Honorine hunderte Menschen, darunter sehr viele Schüler, Eltern und Lehrer und Bürger, um Paty zu gedenken. Jugendliche dankten auf Schildern ihrem Lehrer, den sie nie vergessen gelobten - und die Werte, die er ihnen vermittelt hat.

Der Geschichtslehrer hatte mit seinen Schülern das Thema Meinungsfreiheit im Unterricht behandelt und dabei Mohammed-Karikaturen verwendet. Solche Karikaturen, die in der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ abgedruckt wurden, auf die 2015 ein Anschlag mit zwölf Toten verübt worden war, ziehen seit Jahren den Hass von Islamisten auf sich.

"Unumkehrbare Konsequenzen"

Die ehemaligen Kollegen des getöteten Lehrers hatten schon vor der Trauerveranstaltung am Dienstag ihre Sorge über soziale Netzwerke zum Ausdruck gebracht. "Die Schnelligkeit, mit der Informationen an eine möglichst große Zahl von Menschen verbreitet werden, und die unumkehrbaren Konsequenzen, sind eine echte Geißel bei der Ausübung unseres Berufs", schrieben sie in einem offenen Brief, den unter anderem die Nachrichtenplattform Franceinfo veröffentlichte.

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"Wir fordern daher das Recht, unseren Beruf unter voller Achtung der Bildungsfreiheit und in völliger Sicherheit auszuüben", hieß es weiter. "Die Gründung der staatlichen Schule basiert auf republikanischen und säkularen Werten. Dies sind die Werte, die Samuel in seiner Lehre über die Meinungsfreiheit verteidigte." Die brutale Tat erschüttere den gesamten Berufsstand.

"Die geköpfte Republik"

Die jüngste Ausgabe von "Charlie Hebdo" erscheint am Mittwoch als Reaktion auf die Enthauptung des Lehrers mit dem Titel: "Die geköpfte Republik. Wer ist der Nächste?" Darauf ist ein Feuerwehrmann, eine Postbeamte, ein Richter, eine Krankenschwester und - stark karikiert - Staatschef Emmanuel Macron zu sehen. 

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Präsident  Macron kündigte am Dienstagabend an, verstärkt gegen den „radikalen Islam“ vorzugehen. Das pro-palästinensische Kollektiv, benannt nach dem Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin, das laut Macron „direkt“ an der Ermordung des Lehrers beteiligt war, soll am Mittwoch durch einen Beschluss im Ministerrat aufgelöst werden. Weitere „Entscheidungen dieser Art gegen Verbände und Gruppen von Einzelpersonen“ sollen demnach folgen.

Innenminister Gérald Darmanin gab die Schließung einer Moschee im Pariser Vorort Pantin bekannt. Er warf dem Imam vor, das Opfer bedroht und die Adresse seiner Schule veröffentlicht zu haben. Die Moschee soll nach Angaben des Ministeriums ab Mittwochabend sechs Monate lang geschlossen bleiben.

Am Mittwoch ist in der traditionsreichen Sorbonne-Universität im Herzen von Paris eine Gedenkfeier für Paty geplant, zu der auch Staatschef Macron erwartetet wird. Er hatte die Tat als einen islamistischen Terrorakt bezeichnet.

"Nicht eine Minute Aufschub"

Die Polizei ging nach der Ermordung des Lehrers am vergangenen Freitag in dutzenden Einsätzen gegen 51 Menschen und Vereinigungen vor, die mutmaßlich dem islamistischen Spektrum nahe stehen. All diese Islamisten stünden „nicht unbedingt in Verbindung“ mit dem Mord an dem Lehrer, sagte Innenminister Darmanin. Die Einsätze zielten vielmehr darauf ab, „eine Botschaft zu vermitteln: nicht eine Minute Aufschub für die Feinde der Republik“.

Dem Hass im Internet sagte Premier Jean Castex jetzt den Kampf an. "Wir können nicht mehr passiv die Entfesselung des Hasses in sozialen Netzwerken hinnehmen", sagte Castex in der Nationalversammlung am Dienstag. Er kündigte an, eine Gefährdung durch Veröffentlichung persönlicher Daten solle zur Straftat werden. Ein bereits existierendes Gesetz gegen Hasskommentare im Internet, das nach rechtlichen Bedenken ohnehin nachgebessert werden muss, solle ergänzt werden, sagte der Mitte-Rechts-Politiker.

Castex hatte bereits Anfang Oktober ein neues Gesetz im Kampf gegen den "Separatismus" und den "radikalen Islamismus" angekündigt. Es soll Anfang Dezember im Kabinett beraten werden und dürfte nun härter ausfallen als zunächst erwartet, wie französische Medien berichteten.

Der Druck der Opposition ist groß. Macrons Erzfeindin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, fordert, mit einer Ausnahmegesetzgebung gegen den Terrorismus vorzugehen.

Erdogan: "Fehler vertuschen"

Kritik kam aber auch auch aus der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Macron vor, anti-islamische und anti-muslimische Debatten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Es sei das wirksamste Mittel für westliche Politiker, um eigene Fehler zu vertuschen, sagte Erdogan laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Macon gilt in der EU als einer der härtesten Kritiker Erdogans.