Frankreich: Aufstand der Abgehängten
Von Danny Leder
Präsident Emmanuel Macron steht vor seiner bisher schwersten Belastungsprobe. Frankreich droht ab Samstag der Beginn einer landesweiten Blockade der Autobahnen, Verkehrsknotenpunkte, Straßentunnel, Treibstoffdepots, Tankstellen, Einkaufszentren, Flughafen-Zufahrten. Aufgebrachte Pkw- und Lkw-Fahrer, die sich „Gilets jaunes“ nennen (gelbe Warnschutz-Westen), wollen die Gebühren für Treibstoff zu Fall bringen.
Die auf Facebook entstandene spontane Unmutsbewegung ist so ausufernd und schwammig, dass niemand voraussagen kann, ob sie das Land nachhaltig ins Chaos stürzen oder schnell wieder verpuffen wird. Aber für die Staatsführung um Präsident Macron ist schon die unglaubliche Resonanz dieser Proteste ein wahr gewordener Albtraum. Nicht nur wegen der Millionen Unterstützter im Web, sondern weil hier jenes Zerrbild verfestigt wird, gegen das sich Macron neuerdings verstärkt zur Wehr setzt: Also sinngemäß, er sei „ein Präsident der Reichen, der Großstädter, der Globalisierungsgewinner“, der auf die Bewohner der Speckgürtel, der darbenden Kleinstädte und des (teilweise) abgehängten ländlichen Raums nur „verächtlich“ herabblicken würde.
Auf Pkw angewiesen
Tatsächlich hat die Erhöhung der Treibstoffpreise – seit Jahresbeginn bei Diesel um 23 und bei Benzin um 15 Prozent – jene empfindlich getroffen, die in Gebieten leben und arbeiten, in denen kaum öffentliche Transporte zur Verfügung stehen.
Experten haben errechnet, dass Ausgaben für Treibstoff in der Provinz bis zu einem Drittel des Verdiensts der einkommensschwächeren Haushalte schlucken – also ähnlich viel wie die extrem gestiegenen Wohnungskosten in den gefragteren städtischen Gebieten, denen viele Speckgürtel-Bewohner durch Umzug entfliehen wollten.
Die Regierung hält dagegen, dass nur 20 Prozent des Treibstoffpreises auf Abgaben entfallen und dass diese nötig seien, um einen Umstieg auf sauberere Verkehrsmittel herbeizuführen. Dabei handelt es sich um eine CO₂-Steuer und die bereits eingeleitete Angleichung der Besteuerung von Diesel an Superbenzin. Aber auch ein Teil der ökologisch engagierten Öffentlichkeit wirft der Regierung vor, sie würde diese Lasten vorwiegend den ärmeren Schichten aufbürden, dabei Öl- und Auto-Konzerne schonen und auch nicht genügend Alternativen bieten. Außerdem würden die Abgaben zum Großteil der Budget-Sanierung und nur geringfügig der Ökologie dienen.
„Nicht genug Achtung“
Worauf wiederum die Regierung antwortet, dass sie ein generelles Umsatteln der Steuern anstrebe: eine zunehmende Besteuerung ökologisch schädlicher Produkte und dafür den zunehmenden Abbau der Abgaben, die auf Arbeitseinkommen lasten.
Macron, der sich noch kürzlich über die „renitenten Gallier“ lustig gemacht hatte, gab sich jetzt selbstkritisch: „Wir haben unseren Mitbürgern nicht genug Achtung entgegengebracht.“ Die Regierung hat noch schnell eine Reihe von Begleit-Maßnahmen angekündigt, darunter höhere staatliche Prämien beim Umstieg auf sauberere Autos, stärkere steuerliche Vergütung von Treibstoff-Ausgaben für Pendelverkehr der Niedrigverdiener, erhöhte Zuwendung für Heizkosten.
Bisher wurden aber alle Besänftigungsversuche der Regierung von den „Gilets jaunes“ verworfen: Diese Maßnahmen wären „unangebracht“ (der Kauf eines neuen Wagens bleibt trotz Förderung für viele unerschwinglich), die Bedingungen „zu kompliziert“.
Vor allem aber speist sich der Zorn aus vielen Faktoren: Steuern, Wiederanspringen der Inflation, Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer – was im ländlichen Raum vielfach als Schröpfung seitens der Mächtigen in Paris interpretiert wird. Umso schwerer fällt die Antwort auf die Proteste.