Politik/Ausland

Flüchtlingsgipfel bringt EU-Hilfe für Athen und Frontex

Politiker sehen darin eine Notwendigkeit, Menschenrechtsgruppen ein Übel: Das Ende der Willkommenskultur, die in Wien besiegelt wurde. Das ist die Botschaft, die vom Flüchtlingsgipfel ausgeht, zu dem Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Samstag die Regierungschefs aus Ost- und Südosteuropa, Deutschlands und die EU-Spitzen eingeladen hat.

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Um den Kurswechsel zu unterstreichen, war der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Teilnahme ein Anliegen. Zum Abschluss des Treffens betonte sie, dass es Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration gebe. Im Vergleich zur Situation vor etwa einem Jahr sei sehr viel erreicht worden. Aber noch nicht genug: "Unser Ziel muss sein, die illegale Migration so weit wie möglich zu stoppen." Sie sicherte Griechenland und Italien weitere Hilfe in der Flüchtlingskrise zu. So werde Deutschland aus diesen Staaten mehrere Hundert Migranten mit Bleiberecht pro Monat aufnehmen.

Auch wenn der EU-Türkei-Deal noch hält und die Balkanroute dicht ist, "bauen wir weiterhin Druck auf", resümierte Gastgeber Kern. "Wir brauchen eine strenge Kontrolle über die Außengrenze. Wir müssen entscheiden, wer nach Europa kommt, nicht die Schlepper", sagte er in der abschließenden Pressekonferenz.

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Einigung erzielte die Runde in drei Punkten:

Die Zahl der Grenzschützer von Frontex muss aufgestockt werden, 1500 Kräfte seien zu wenig. Griechenland bekommt Frontex-Hilfe zur Sicherung seiner Nordgrenze zu Albanien und Mazedonien. Nach Aussagen des Bundeskanzlers wird von der EU-Kommission geprüft, ob nicht mehr Polizisten und Soldaten den Schutz der Außengrenze übernehmen sollen. Eine zivil-militärische EU-Mission forderte vor Monaten bereits Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Ungarn bekommt demnächst 125 Bundesheer-Soldaten.

"Der Türkei-Deal muss garantiert werden", betonte der Kanzler. Dazu gehöre auch die Visa-Liberalisierung. Rückführungen von syrischen Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei (Teil des Türkei-Abkommens), müssen rascher vor sich gehen. Erst 509 Flüchtlinge sind zurückgekehrt. Das Problem ist, dass Griechenland die Türkei nicht als sicheren Drittstaat anerkennt.

Als dritten Punkt nannte Kern die Bekämpfung der Fluchtursachen durch Vereinbarungen mit afrikanischen Ländern nach dem Modell des Türkei-Deals. Niger, Mali und Ägypten bräuchten dringend Unterstützung.

Gute Fortschritte gebe es bei den Verhandlungen über Rückführungen von Flüchtlingen aus Afghanistan und Pakistan, die keine Chance auf Asyl haben, sagte Kern.

Balkanroute soll für immer geschlossen bleiben

EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte erneut an die EU-Staaten, "praktisch und politisch sicherzustellen, dass die Balkanroute für illegale Migranten für immer geschlossen bleibt".

Nach Angaben von Diplomaten skizzierte der griechische Premier Alexis Tsipras die dramatische Lage in seinem Land. 70.000 Flüchtlingen, davon 14.000 auf ägäischen Inseln, befinden sich in völlig überfüllten Lagern. Viele syrische Kriegsflüchtlinge aus der Türkei suchen um Asyl in Griechenland an.

Verschärfte Asylgesetze, leichtere Abschiebungen, das EU-Abkommen mit der Türkei und Deals mit anderen Staaten sollen den Flüchtlingszuzug bremsen. Auf europäischer Ebene ist die Quote zur Verteilung von Flüchtlingen gescheitert. Schwerpunkt ist jetzt die Sicherung der EU-Außengrenzen.

Tsipras verlangte aber die Anwendung der Quote. "Es darf keine Solidarität à la carte geben", redete der Grieche seinen Kollegen ins Gewissen. Er meinte damit natürlich die Visegrád-Staaten, die eine faire Verteilung der Flüchtlinge ablehnen.

Tsipras bekam Unterstützung von Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos: "Solidarität und Verantwortungsbewusstsein sind Grundwerte der EU." Alle Mitglieder seien rechtlich dazu verpflichtet. Es handle sich "nicht nur um moralische Werte, sondern auch um juristische Prinzipien, die in den EU-Verträgen stehen".

Avramopoulos trifft Sobotka

Am Rande des Gipfels gab es auch eine Unterredung zwischen Avramopoulos und Innenminister Wolfgang Sobotka. Dieser ersuchte um Verlängerung der Grenzkontrollen nach Ablauf dieser im November. Avramopoulos machte keine Zusage, die EU-Kommission lehnt im Prinzip eine Verlängerung ab, weil es keine Notsituation gebe.

Ganz friedlich lief das Wiener Treffen nicht ab. Hinter dem Burgtheater in der Löwelstraße gab es Samstagnachmittag eine Demonstration gegen den Flüchtlingsgipfel. Die Teilnehmer protestierten gegen das Ende der Willkommenskultur und skandierten: "Wir wollen das, wir können das, und wir machen das." Der Zuspruch war aber überschaubar; die Polizei sprach von etwa 100 Teilnehmern.

Der Live-Ticker von den heutigen Ereignissen zum Nachlesen

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„Die Westbalkan-Route für Flüchtlinge und Migranten muss geschlossen bleiben“ – diese Stoßrichtung, auf die sich beim Wiener Flüchtlingsgipfel gestern die Mehrheit der teilgenommenen Regierungschefs mehr oder weniger explizit einigen konnten, reicht Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban noch lange nicht.
Oberstes Ziel des national-konservativen Regierungschefs: Flüchtlinge, überhaupt in Massen, sollten überhaupt nicht mehr in die EU kommen. Und deshalb, so stellte Orban es vor Journalisten in Wien klar, müsse „eine neue Verteidigungslinie“ errichtet werden. Die sieht der ungarische Premier in Libyen, in einem großen Stück Küstenabschnitt, das von europäischen Soldaten beschützt und bewacht, aber auch von Europa versorgt werden solle.
„Millionen Menschen“„Mehrere Millionen Menschen“ könnten dort Platz finden, und nur dort, also außerhalb der EU, sollten diese Menschen ihren Antrag auf Asyl stellen. Und dorthin könnte man auch jene eine Million Flüchtlinge zurückschicken, die sich im Vorjahr „illegal“ auf den Weg nach Europa gemacht haben und nun in ganz Europa untergekommen seien.
Bei seinen Gipfel-Gesprächspartnern in Wien konnte sich Orban mit diesem Plan nicht durchsetzen. Und das wohl nicht nur, weil die realen Verhältnisse im Bürgerkriegsland Libyen eine Aufnahme von Millionen Menschen eher illusionär erscheinen lässt. Doch Orban drängt: „Wir brauchen ein Notfalldrehbuch, falls das Abkommen zwischen der EU und der Türkei nicht hält und sich dann wieder Menschenmassen auf den Weg machen.“
Von einer Rücknahme von Flüchtlingen aus Österreich will Orban ebenso wenig hören, wie von der Quote zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Kommenden Sonntag stimmen die Ungarn in einem Referendum über die Quote ab, von ihrer klaren Ablehnung darf dank der unentwegten Anti-Quoten-Kampagne und den rüden Tönen in der ungarischen Flüchtlingspolitik gerechnet werden.