Hotspots in Libyen: Macron rudert ein Stück zurück
Seine "Entschiedenheit" wolle er demonstrieren, sagte Emmanuel Macron am Donnerstag, denn die anderen EU-Staaten seien "sehr zurückhaltend" in dieser Frage: Mit diesem Sommer, so der französische Präsident, sollen in Libyen Hotspots für Flüchtende errichtet werden. Einrichtungen also, in denen die Migranten ihre Anträge auf Asyl stellen können.
Am selben Tag zurückgerudert
Nach dem Vorstoß von Macron hat die französische Präsidentschaft zurückgerudert. Die Einrichtung solcher Hotspots sei in Libyen aus Sicherheitsgründen derzeit nicht möglich, teilte der Elysee-Palast am Donnerstagabend mit. Stattdessen soll zunächst die Machbarkeit solcher Registrierungsstellen in einem Grenzgebiet von Libyen, Niger und dem Tschad geprüft werden. Der Elysee-Palast teilte am Abend mit, es sei eine Zone identifiziert worden, die "im Süden Libyens, im Nordosten Nigers und im Norden des Tschad" liege, um derartige Registrierungsstellen einzurichten. In Libyen selbst sei dies "momentan nicht möglich, könnte aber kurzfristig der Fall sein". Von Ende August an werde es eine Ofpra-Mission geben, "um zu sehen, wie das umgesetzt werden kann".
Applaus aus Österreich
In Österreich, wo die Debatte um die Schließung der Mittelmeerroute ja auch für innenpolitische Verwerfungen gesorgt hat, ist man über die Forschheit Frankreichs durchaus erfreut. Selbst Bundeskanzler Christian Kern, der im Unterschied zu Verteidigungsminister Doskozil eher zurückhaltend in dieser Frage war, nennt Macrons Pläne "sehr positive Nachrichten im Umgang mit der Flüchtlingsfrage", so ein Sprecher zum KURIER. Dies sei eine ebenso vernünftige Initiative wie jene Italiens, das die Zusammenarbeit mit Libyens Küstenwache verstärkt (siehe unten).
Noch deutlicher ist man freilich im Außenministerium: "Wir begrüßen das als wichtigen Beitrag zur Schließung der Mittelmeerroute", sagte ein Sprecher von Außenminister Sebastian Kurz am Donnerstag zum KURIER; Österreich überlege sogar, einen finanziellen Beitrag zu den französischen Hotspots zu leisten – Details seien noch zu klären. Dass Macrons Vorpreschen ihn freut, kommt nicht von Ungefähr. Kurz hatte ja mit seinen Forderungen nach Asylwerber-Zentren in Nordafrika für gehörig Dissens in der Runde seiner EU-Kollegen gesorgt; während Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei sich für derartige Hotspots aussprachen, hat Deutschland Auffangzentren in Libyen stets mit den Verweis darauf abgelehnt, dass dort "finstere Zustände" herrschen. Auch Luxemburg wehrte sich dagegen: "Libyen ist kein Rechtsstaat", so Außenminister Jean Asselborn.
Noch viele offene Fragen
Wie begeistert andere EU-Staaten von Macrons Initiative sind, muss sich darum erst zeigen; und auch, ob Brüssel bei den Plänen Frankreichs überhaupt mitzieht, ist ungewiss. "Mit oder ohne EU", wolle er seine Idee umsetzen, sagte Macron am Donnerstag.
Daran hängen allerdings viele Fragen. Offen ist etwa, ob die Franzosen die Infrastruktur auch für andere EU-Länder stellen und Asylanträge demnach auch für andere Staaten gestellt werden können – oder ob Paris einen Alleingang wagt. Auch, was mit den abgelehnten Asylwerbern im Land passiert, ist bisher unbeantwortet: Aus Furcht vor dem destabilisierenden Einfluss abgelehnter Asylwerber weigerte sich etwa Ägypten bisher, solche Lager aufzumachen – und Libyen ist noch deutlich instabiler als das Land am Nil.
Lager als Sicherheitsrisiko
Das ist es auch, wovor Experten warnen. Macrons Initiative ging ja ein Treffen mit dem Premier der Übergangsregierung, Fajis al-Sarraj, und General Khalifa Haftar voran, bei dem auch ein Zehn-Punkte-Plan verabschiedet wurde – doch ob das Land mit diesen Vertretern überhaupt paktfähig ist, ist durchaus diskutabel. "Die Lage im Land ist nahezu außer Kontrolle", sagt Wolfgang Pusztai, der fünf Jahre als Verteidigungsattaché für Libyen zuständig war und jetzt als freier Sicherheitsberater arbeitet, im Ö1-Interview. Es gebe "drei Regierungen, die jede mit einer gewissen Berechtigung behaupten kann, die legitime zu sein, dazu noch hunderte Milizen".
Er fürchtet, dass Auffanglager das Chaos nur verschlimmern würden. "Migrantenlager würden das Land noch weiter destabilisieren – sie sind ein weiteres Sicherheitsrisiko."
Vor seinem Treffen mit Premier Paolo Gentiloni am Mittwoch in Rom hatte der Premier der international anerkannten, de facto aber machtlosen libyschen Übergangsregierung, Fajis al-Sarraj, einen Brief geschickt. Darin bat al-Sarraj die Italiener, die Küstenwache seines Landes beim Kampf gegen Schlepperei und Menschenhandel zu unterstützen – und Italien zeigte sich gesprächsbereit.
Konkret sollen sechs italienische Marineschiffe sowie Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen gemeinsam mit der libyschen Küstenwache im Mittelmeer patrouillieren. Ziel ist es, die Flüchtlingsabfahrten von Libyen zu stoppen. Ein ähnliche Mission hatte Italien 1997 gestartet, um Flüchtlingsströme aus Albanien zu blockieren, das damals eine schwere politische und wirtschaftliche Krise durchlebte.
Details noch offen
Derartige Operationen sind heikel: Die italienischen Kriegsschiffe sollen der Abschreckung dienen und Flüchtlingsboote abfangen, ohne Menschenleben zu gefährden, wie es offiziell heißt. Im Notfall müssen die Menschen – wie es das internationale Seerecht vorschreibt – aus Seenot gerettet werden.
Der aktuelle Plan wird derzeit im italienischen Verteidigungs-, Innen- und Außenministerium geprüft. Ob das Parlament noch vor der Sommerpause der Entsendung der Schiffe nach Libyen zustimmt, ist offen. Über das Ziel – Flüchtlingsboote zu stoppen – herrscht Einigkeit. Allerdings müssen noch zahlreiche Details geklärt werden.
Wie die Operation, an der sich zwischen 500 und 1000 italienischen Soldaten beteiligen sollen, genau aussieht, darüber wird derzeit noch spekuliert. Laut der Zeitung Corriere della Sera ist etwa offen, wie groß das Einsatzgebiet der Marineschiffe in libyscher Küstennähe sein wird. Außerdem sind noch Regelungen vor allem zum Schutz der italienischen Soldaten erforderlich, die auf fremdem Terrain agieren.
Die Schiffe sollen die Menschen aus Seenot retten und danach – nicht wie bisher nach Italien – nach Libyen zurückbringen. Dabei muss jedoch die Einhaltung der Menschenrechte vor Ort garantiert sein, was derzeit in Libyen laut internationalen Beobachtern keineswegs der Fall ist. Es kommt zu schweren Verstößen, Misshandlung und Folter von Flüchtlingen in Auffanglagern stehen an der Tagesordnung.
Unklar ist, wie Premier al-Sarraj beweisen will, dass menschenwürdige Bedingungen herrschen, was auch auf internationaler Ebene überprüft werden muss. Dazu ist auch die Präsenz von UN-Organisationen und die Eröffnung von Büros der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Tripolis und anderen libyschen Städten notwendig.
Kampf gegen NGOs
Durch die Stärkung der libyschen Küstenwache will Italien auch die Präsenz von NGO-Schiffen vor der libyschen Küsten verringern, denen immer wieder vorgeworfen wird, mit Schleppern zu kooperieren.
Die Rettungsschiffe privater Hilfsorganisationen beteiligen sich derzeit an rund 40 Prozent aller Rettungseinsätze. Heute, Freitag, findet erneut ein Treffen zwischen Innenminister Minniti und NGO-Vertretern statt. Dabei wird über einen geplanten Verhaltenskodex für NGO-Schiffe diskutiert.
Regierungschef Gentiloni zeigt sich jedenfalls angesichts der geplanten Kooperation mit Libyen leicht optimistisch: "Italien ist das europäische Land, das sich als Erster über jeden Fortschritt in Libyen freut." Die Zusammenarbeit betreffe mehrere Ebenen, sagte Gentiloni nach dem Treffen: "Hoffentlich wird es auch immer eine wirtschaftliche und infrastrukturelle Kooperation geben, ebenso einen gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus und vor allem eine Zusammenarbeit bei der illegalen Einwanderung."
Der libysche Übergangspremier betonte allerdings, dass die italienische Grenzsicherung alleine nicht ausreiche, um das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen. "Wir müssen auch Bemühungen unternehmen, Libyens südliche Grenzen zu kontrollieren."
(Irene Mayer-Kilani)
Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni betrachtet Libyens Forderungen nach Entsendung von Schiffen zur Stärkung seiner Küstenwache als "positiven Wendepunkt". Italien sei sehr bemüht, für die Stabilisierung Libyens zu arbeiten, sagte Gentiloni bei einer Pressekonferenz mit dem deutschen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz am Donnerstag in Rom.
Die italienische Regierung werde dem Parlament am kommenden Dienstag die Details zur Libyen-Mission vorstellen, erklärte Gentiloni. Laut Medienberichten plant Italien die Entsendung von sechs Schiffen und etwa 1.000 Soldaten, um die libysche Küstenwache zu unterstützen. Geplant sei auch die Entsendung von Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen.
Nach Angaben aus italienischen Regierungskreisen müssen die Einsatzregeln, das konkrete Einsatzgebiet sowie die Zusammenarbeit mit den libyschen Sicherheitskräften noch festgelegt werden. Klar sei aber schon, dass alle von den italienischen Schiffen abgefangenen Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht würden. Am Mittwoch hatte Gentiloni nach einem Treffen mit dem libyschen Premier Fayez al-Serraj erklärt, Libyen habe um die Entsendung italienischer Kriegsschiffe in seine Hoheitsgewässer gebeten.
Gentiloni erklärte, Italien werde nach wie vor seinen Pflichten bei der Flüchtlingsrettung im Mittelmeer nachkommen. "Wir resignieren jedoch nicht vor dem Gedanken, dass der Umgang mit der Flüchtlingskrise und den Wirtschaftsmigranten einzelnen EU-Ländern je nach geografischer Lage überlassen wird", so Gentiloni.
Schulz betonte, Solidarität müsse das "fundamentale Prinzip" sein, auf dem die EU basiere. Dies gelte für alle Bereiche, unter anderem auch bei der Einwanderung. Schulz meinte, das EU-Budget für die nächsten Jahre müsse ein "Solidaritätspakt" sein.