Flucht aus Venezuela: „Das Land liegt am Boden“
Von Tobias Käufer
Die Regenwolken am Himmel über Bogota künden vom nächsten Wolkenbruch. Aber so lange es noch trocken ist, wollen Jonny (24) und seine Familie noch ein wenig ausharren auf den Straßen der kolumbianischen Hauptstadt. Sie sitzen an der Ecke 85, Carrera 12 auf dem Gehsteig. Hier im Viertel Chico ist Bogota reich und wohlhabend und so hoffen sie, dass einer der Passanten vielleicht ein paar Pesos in den Becher wirft.
„Vor vier Tagen sind wir gegangen“, sagt Jonny. Neben ihm seine Frau und die beiden Kinder, drei und vier Jahre alt. Auch ein Freund ist mitgekommen, den weiten Weg von Maracay (eine Autostunde von der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfernt) bis nach Bogota. Sie sind gelaufen, mit dem Bus gefahren, haben sich auf Lkw gesetzt. Nur weg aus Venezuela. „Es gibt dort keine Arbeit mehr für mich, keine Baustellen. Niemand hat Geld.“ Jonny ist Bauarbeiter, erzählt er. Was ihn an Bogota am meisten überrascht hat: „Die vielen Baukräne. Hier wird gebaut. Hier finde ich sicher Arbeit.“
Kolumbien hat in den vergangenen Jahren rund eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen. Eine humanitäre Herausforderung historischen Ausmaßes. Trotzdem will Kolumbiens konservativer Präsident Ivan Duque die Grenzen nicht schließen. Er verspricht, die „venezolanischen Brüder und Schwestern“ nicht im Stich zu lassen. Duque ist ein politischer Erzfeind des sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro in Caracas. Gerade lässt er an der Grenze mithilfe der USA Hilfsgüter lagern, die nach Venezuela gebracht werden sollen. Jonny findet das gut: „Wir brauchen Hilfe, unser Land liegt am Boden.“
Hilfe als Politikum
Die Hilfe aber ist ein Politikum. Venezuelas Staatschef Maduro lässt Lieferungen nicht ins Land, er sieht hinter der Aktion und in seinem Kontrahenten, den selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaido, eine US-Intervention. US-Präsident Donald Trump legte nun nach und drohte mit einer militärischen Intervention, sollten Hilfsgüter weiter blockiert werden. Maduro kündigte seinerseits an, dass eine russische Lieferung das Land bald erreichen werde. Zugleich erlaubte er sich eine Breitseite gegen Kolumbien: Er wolle humanitäre Hilfe in die kolumbianische Grenzstadt Cucuta schicken, um bedürftigen kolumbianischen Familien zu helfen.
Für Jonny geht es derzeit um unmittelbare Bedürfnisse: Er weiß nicht, wohin. Es gibt in Bogota Flüchtlingsheime für Venezolaner, aber er weiß nicht wo. Und er will eine Arbeitsgenehmigung. Mit der können Venezolaner sofort und legal angestellt werden. Arbeit, das ist das Wort, das Jonny am meisten in den Mund nimmt. „Ich will arbeiten, neu anfangen, meine Familie ernähren.“
Zu seiner Flucht sagt er: „Wir haben es nicht mehr ausgehalten. Es gibt nichts mehr zu kaufen in Venezuela. Es fehlt an allem.“ Er hatte vor allem auch Angst, dass die Grenzen geschlossen werden. Im Falle eines Regierungswechsels will er aber gleich zurück.
Nun aber sitzen sie mitten in Bogota und greifen nach jedem Strohhalm. Sie haben ein Plakat gemalt, darauf steht: „Ich bin Venezolaner“. Er würde sich freuen, wenn man ihn mit einer Arbeit oder einer Spende unterstützen würde, hat er aufgeschrieben. Mit „Liebe und Frieden“ schließt die kurze Botschaft.
Bogota ist inzwischen voll von Venezolanern. Sie versuchen, sich mit Zuckerl-Verkauf oder dem Putzen von Windschutzscheiben über Wasser zu halten. Längst nicht alle Kolumbianer nehmen die Flüchtlinge mit offenen Armen auf. Vor allem in ärmeren Vierteln kommt es zu sozialen Spannungen, drückt die verzweifelte Lage der Venezolaner doch die Löhne. In Ecuador und Brasilien kam es bereits auch zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Venezolaner, weil diese hinter Straftaten vermutet wurden.
Von alledem hat Jonny noch nichts mitbekommen. Er hofft auf die vielen Baustellen in Bogota und darauf, dass er irgendwo unterkommt. „Ich will doch nur arbeiten.“ Doch jetzt kommt erst einmal der kalte Regen.