„Ich werde nicht abgehört“
Über Inhalt und Verlauf der Koalitionsverhandlungen wollte Bundeskanzler Werner Faymann am Rande des EU-Gipfels in Brüssel mit dem KURIER nicht reden. Er hält sich ganz an seine Vorgabe, während der Gespräche Stillschweigen zu bewahren.
KURIER: Herr Bundeskanzler, ist Ihr Handy abhörsicher?
Werner Faymann: Ich habe wie jede Bürgerin und jeder Bürger ein Recht darauf, dass niemand mein Handy abhört. Es gibt derzeit keine Anhaltspunkte, dass das bei mir der Fall war.
Braucht es nach den NSA-Affären nicht mehr Schutz?
Bei Fragen des Datenschutzes generell und im Besonderen nach den Vermutungen gegenüber den Vereinigten Staaten müssen wir Ordnung schaffen. Österreich macht bei der EU-Initiative, die Sache mit den USA zu klären, voll mit.
Sie sind für Quoten für Flüchtlinge und Asylwerber. Sollte man bei der fairen Aufteilung neben der Größe der Bevölkerung nicht auch die Wirtschaftskraft berücksichtigen?
Derzeit ist die Aufteilung nicht verhältnismäßig. Die Zahl der Asylwerber pro eine Million Einwohner klafft in der EU sehr weit auseinander. Der Großteil der Länder müsste mehr aufnehmen. Mir geht es um eine gemeinsame Lösung. Wenn jemand nur fragt, was kann ich alleine erreichen, ist das zu schrebergartenhaft. Wir sollten über finanzielle Hilfen reden, etwa für Malta. Auf der kleinen Insel kommen viele Flüchtlinge an. Ich hoffe, dass wir uns im Dezember über finanzielle Mittel einigen. Das wäre im Interesse aller.
Soll Österreich mehr Asylwerber und Flüchtlinge aufnehmen?
Österreich war immer ein Land, dessen Bevölkerung Herz gezeigt hat und gehört auch zu jenen Ländern in Europa, die in diesem Bereich deutlich mehr machen als andere. Es gab immer die Diskussion bestimmter Gruppen, die versucht haben, die Debatte über Flüchtlinge in Gehässigkeit umzuwandeln. Ich möchte in Europa eine Lösung haben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Euro-Länder mit verpflichtenden Verträgen zu mehr Disziplin und Wettbewerb zwingen. Sie sind skeptisch. Warum? Und gibt es dazu beim Dezember-Gipfel einen Beschluss?
Ich bin gegen ein Auseinanderdividieren der Eurozone und anderer Mitgliedsländer. Ich bin nicht überzeugt, warum es ein Euro-Budget geben soll, aus dem Belohnungen an Länder gezahlt werden. Ich bin sehr für verbindlichere Kriterien auf freiwilliger Basis. Über Verträge entscheiden auch die Parlamente. Ich glaube persönlich nicht, dass es im Dezember zu neuen Verträgen mit einem Belohnungssystem kommen wird.
Haben Sie in Ihrem Vieraugengespräch mit Merkel darüber geredet?
Es gab ein Gespräch. Es gilt die Vertraulichkeit.
Hannes Swoboda kandidiert nicht mehr für die Europa-Wahl 2014. Haben Sie schon einen Spitzenkandidaten im Kopf?
Ich habe mit Hannes Swoboda telefoniert und werde mit ihm noch ausführlich reden. Ich lege sehr großen Wer auf seinen Rat und seine Erfahrung, auch bei personellen Fragen. Einen Termin, bis wann wir eine Kandidatenliste vorlegen, gibt es noch nicht. Der Europa-Wahlkampf ist mir sehr wichtig. Wir müssen uns auf die inhaltliche Auseinandersetzung sehr gut vorbereiten. Wer für ein starkes Europa, für Beschäftigung ist, der muss in der Botschaft stärker sein als jemand, der alles in der Europäischen Union zerstören und austreten will.
Ist der EU-Kommissar Teil des Personalpaketes?
Das letzte Mal haben wir vereinbart, dass das Vorschlagsrecht bei einer Partei liegt. Möglich ist, dass wir das so vereinbaren. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich Kommissar Hahn unredlich zu unseren Regierungsvorschlägen verhalten hätte.
Parlamentspräsident Martin Schulz ist Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten für den Job des EU-Kommissionspräsidenten. Sind Sie auch dafür?
Die SPÖ unterstützt Martin Schulz auf diesem Weg. Aber der Weg ist noch weit. Zuerst findet die Europa-Wahl statt.
Die Abhör-Attacke des amerikanischen Geheimdienstes NSA auf das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Europa aufgeweckt. Die Empörung über das Verhalten eines befreundeten Landes war groß. Die EU-Staats- und Regierungschefs ziehen jetzt auch Konsequenzen: Europa rüstet auf und baut seine IT-Technik aus. Die Rede ist sogar von einem eigenen Abhörsystem. 2015 soll es auch einen verbesserten Datenschutz geben.
Ruf nach Transparenz
Deutschland und Frankreich werden in den kommenden Wochen separat Gespräche mit den USA führen, sagt Merkel: „Wir suchen eine Grundlage für die notwendige Kooperation unserer Geheimdienste, die transparent und klar ist – und die auch dem Charakter von Bündnispartnern entspricht.“
Konkrete Konsequenzen gibt es vorläufig keine: Die NSA-Affäre soll auch die laufenden Verhandlungen über die transatlantische Freihandelszone nicht stören.
Aus dem EU-Parlament kommt heftige Kritik an dieser Zurückhaltung. „Der Rat hat keinen Mut gegenüber den USA gezeigt“, sagt Hannes Swoboda, Fraktionsführer der Sozialdemokraten. Die Staats- und Regierungschefs hätten als Reaktion auf die Spionage-Affäre zumindest das Swift-Abkommen zum Austausch von Bankdaten mit den USA suspendieren sollen – so, wie es das Parlament fordert.
Bei dem zweiten großen Gipfelthema, der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, blieb Merkel standhaft. Sie beharrte auf ihrer Forderungen nach Verträgen der Mitgliedsländer mit der EU-Kommission, bestimmte finanz- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zu treffen, um wettbewerbsfähiger zu werden. „Dieses Prinzip ist im Rat auch schon akzeptiert“, sagte die Kanzlerin.
Kein Ergebnis brachte die Debatte zur Flüchtlingspolitik. Im Dezember sollen „kurzfristige Maßnahmen“ besprochen werden, von einer grundlegenden Änderung der Asylpolitik ist keine Rede.
Auch nach dem Platzen der Bombe, dass Angela Merkel und andere Regierungschefs durch US-Geheimdienste ausgehorcht wurden, kommen neue Informationen ans Licht. Laut Dokumenten von Edward Snowden, die vom italienischen Magazin L'Espresso veröffentlicht wurden, stand Italien im Zentrum der globalen Lauschangriffe. Und zwar seien es die Briten gewesen, deren Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters) sich besonders in Rom umgehört haben soll - auch in Unternehmen.
Laut Spiegel Online sollte etwa zusammengetragen werden, was die Weitergabe "nuklearer, bakteriologischer oder chemischer Waffen an feindliche Staaten" betrifft. Außerdem sollte dem "Wohle der britischen Wirtschaft" gedient werden, was Wirtschaftsspionage nahelegt. Ob die italienischen Geheimdienste davon wussten, war unklar.