Politik/Ausland

Fake-News: Wenn Nachrichten zur Waffe werden

Es ist ein Bild von zwei Männern dunkler Hautfarbe, das Sputnik News in Umlauf brachte. Die beiden gehen lächelnd durch eine Straßenabsperrung, dahinter die brennende Kathedrale Notre-Dame. Die suggerierte Botschaft: So reagieren Muslime auf den Brand. Das Bild wurde tausendfach in sozialen Medien geteilt; bald wurde den beiden Männern unterstellt, islamistische Parolen gebrüllt zu haben. Und: Vielleicht gefällt den Muslimen die brennende Kathedrale nicht nur, vielleicht haben sie sie ja selbst angezündet?

AFP recherchierte die Hintergründe: Der Grinser kam zustande, weil einer der Männer seinem Freund unabsichtlich das Absperrungsband ins Gesicht schnalzte.

Der Schaden aber war bereits angerichtet: Hass, Angst und Misstrauen waren gesät.

Fast nicht lügen

Sputnik News ist eine der Speerspitzen russischer Propaganda. Eines jener Medien, die nach den Worten der EU-Anti-Fake-News-Agentur „EU vs Disinfo“ die Kunst des „Fast-nicht-Lügens“ perfekt beherrschen. Je näher die EU-Wahl rückt, umso aktiver bespielen diese ihre Klaviatur überall im Netz. Vor allem aber auf sozialen Netzwerken.

Nach Ansicht der EU-Kommission setzen sich die großen sozialen Netzwerke zu wenig gegen Fake News ein. Im September hatten Facebook, Twitter, Google und andere einen freiwilligen Verhaltenskodex unterzeichnet, doch das reiche nicht. Denn all diese Dienste arbeiten mit Algorithmen. Und die kann man manipulieren, um größtmögliche Reichweite zu bekommen.

Trollfabrik

Es ist ein unscheinbarer Betonklotz in St. Petersburg, der als vom Kreml bezahlte „Trollfabrik“ bekannt wurde. Über unzählige falsche Accounts in sozialen Medien werden falsche, manipulative oder halbwahre – anti-europäische, anti-amerikanische, prorussische – Botschaften in Umlauf gebracht. Auch Hackergruppen, die angeblich mit russischen Geheimdiensten in Verbindung stehen, sollen in dieser Fabrik tätig sein.

Und die Botschaften, die von dort in die (westliche) Welt geschickt werden, erzielen schnell größte Reichweiten. Auch wegen ihrer reißerischen Überschriften. Was oft „gefällt“, gepostet oder kommentiert wird, wird populär in der Timeline – und erreicht dadurch mehr Menschen. Laut der Agentur „EU vs Disinfo“ waren vermutlich 241 Millionen EU-Bürger (rund die Hälfte) im EU-Wahlkampf derartigen Nachrichten ausgesetzt.

Die Ursprünge der Falschmeldungen sind dabei nicht immer so eindeutig zurückzuverfolgen, so Social-Media-Analyst Luca Hammer zum KURIER. Manchmal sei der Ursprung ein kleiner Account, der nicht zuordenbar ist, manchmal eine bekannte Quelle wie RT.com. „RT und andere größere Webseiten sind oft nicht Ursprung, sondern Verbreiter einer Falschmeldung.“

Und nicht immer seien es tatsächliche Falschmeldungen, die ein gewisses Bild vermitteln, so Hammer. Viele Meldungen seien „nicht grundsätzlich falsch“, würden aber „in einen falschen Kontext gesetzt“. Auch die Masse an gewissen Meldungen könne ein Problem ergeben – gepusht von Bots (Computerprogramme, die automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeiten).

Die Ziele der russisch-gesteuerten Meldungen: Misstrauen in die politischen Institutionen erzeugen, Unsicherheit und Angst verbreiten, im weiteren Verlauf ein (kontrolliertes) Chaos erzeugen. Das übergeordnete Ziel sei die Spaltung der europäischen Gemeinschaft, wird Russlandexperte Stefan Meister vom Spiegel zitiert.

Top-Online-Werber

Nutznießer waren bisher vor allem Rechtspopulisten. Positiv hob die Brüsseler Behörde am Freitag hervor, dass Facebook, Twitter und Google ein öffentliches Verzeichnis für Wahlwerbung eingerichtet haben. Mit Abstand der Top-Werber in Österreich: Harald Vilimsky.

Laut der Schweizerischen Analysefirma „zulu5“ ist die Internet-Werbung der FPÖ von allen österreichischen Parteien im EU-Wahlkampf am breitesten aufgestellt. Auffällig sei, dass 70 Prozent der FPÖ-Online-Werbung auf Seiten mit „grenzwertigem“ Inhalt stehen, also sensationsgetrieben oder extremistisch.

In Deutschland fallen die anderen Parteien weit hinter der AfD zurück, wenn es um die Anzahl der Social-Media-Beiträge geht, berichtet der Spiegel mit Bezug auf eine Studie der George Washington Universität. Rund 85 Prozent aller verbreiteten Beiträge auf Facebook stammten demnach von der rechtsgerichteten AfD. Pro Woche teile die Partei mehr als 4000 Posts, erklärt Medienwissenschaftler Trevor Davis im Spiegel: „Das hat das Niveau einer US-Präsidentschaftskampagne im Endspurt.“

Fünf zentrale Strategien der Manipulatoren

Eliten gegen das Volk

Es wird das  Bild der „bösen Eliten“ (Banken, Unternehmen, Juden, Oligarchen) gezeichnet, die gegen das Volk agierten und dieses unterjochen. Zugleich werden gewisse politische Gruppen als „stille Mehrheit“ oder „Stimme des Volkes“ dargestellt. Oft angewandt wird diese Methode bei Wahlen oder Krisen. Sputnik berichtete etwa über angebliche Wahlfälschungen in Deutschland (betrieben von den Regierenden) oder darüber, dass Wirtschaftseliten hinter der  Migration steckten (billige Arbeitskräfte). Das Fehlen von Fakten  wird als Beleg dafür dargestellt, mit welcher Inbrunst Eliten die Vertuschung betreiben.
 
Ziel: Misstrauen in Institutionen

Bedrohte Werte

Konservative, traditionelle Werte werden als gefährdet dargestellt.   Etwa: „Anstand“ bedroht von „Dekadenz“. Und wieder: „sie“ gegen „uns“, die „schweigende Mehrheit“. Attackiert werden dabei vor allem progressive Werte  wie Frauen- und Minderheitenrechte. Feindbilder: Homosexuelle und Muslime.  Kommuniziert wird aus einer vermeintlich moralisch höheren Position. Titel einer „Reportage“ aus Schweden auf der Website riafan: „Wie es ist in einem Land siegreicher Toleranz: Diktat von Schwulen und Lesben, Unterdrückung von Männern und Frauen, Russophobie und Angst.“

Ziel:  Zwietracht und Uneinigkeit

Verlust der Souveränität

Beschworen  wird das Mantra, Europas Nationalstaaten  seien fremdbestimmt: von der NATO, der EU, den USA. Nationale Identitäten seien in Gefahr:  durch Schwule, den Islam oder Kinderrechte – letztere würden konservative Familienwerte gefährden. Kooperation zwischen EU-Staaten wird als Kapitulation vor äußeren Mächten beschrieben. So titelte Sputnik eine „Analyse“ über die Idee einer EU-Armee: „Waffen-EU: Warum eine EU-Armee eine schlechte Idee ist.“ Zugrunde liegt der Story übrigens die These, dass Lettland eigentlich kein souveräner Staat sei.

Ziel:    Angst, Misstrauen in die EU

Bevorstehender Kollaps

In Permanenz  wird der unmittelbar bevorstehende Kollaps der EU prophezeit. Das wirkt vor allem in Krisenzeiten und verstärkt vorhandene Ängste.  Die Ironie daran: Seit mindestens 10 Jahren prophezeien Kreml-nahe Medien den baldigen Untergang der EU. Vor der Wahl taucht das Thema wieder  öfter auf. Als ein Beleg werden die Gelbwesten-Proteste in Frankreich genannt.  Oder: von Russland selbst präferierte und unterstützte Parteien. So titelte Russia Today (RT): „Kollaps des EU-Superstaates? Europaskeptiker könnten Brüssel nach den Mai-Wahlen lähmen – Studie.“

Ziel:  Verstärken bestehender Ängste

Die  Notbremse: Zynismus

Wird es eng in der Faktenlage, greifen die Kreml-Strategen ganz tief in die Witzkiste. Ein Beispiel: der Fall Skripal. Das Opfer (russischer Ex-Agent in Großbritannien)  sowie der Vergiftungsfall wurden als Lachnummer abgetan. Und so ist es durchwegs mit dem für den Kreml gefährlichsten Konzept: der Demokratie. Staatsmedien porträtieren Wahlen mit  offenem Ausgang als chaotischen „Zirkus“. Kreml-Berater Surkow ging sogar weiter. Er nannte Wahlen eine „Schlacht von Bastarden“ – um als Gegenkonzept die Einheit unter einem Führer zu propagieren. Im Falle Russlands klar, wer das sein soll.

Ziel:  Lächerlichmachen von Gegnern