Schwere russische Angriffe auf Mariupol, Dnipro und Charkiw
Tag 42 im Krieg in der Ukraine: In der Ukraine setzen russische Truppen ihre Angriffe mit unverminderter Härte fort. Mariupol im Südosten und Charkiw im Nordosten der Ukraine lagen am Mittwoch unter schwerem Artilleriefeuer. Explosionen wurden auch nahe der Industriestadt Dnipro gemeldet. Im ganzen Land sollen im Laufe des Tages elf Fluchtrouten geöffnet werden. Nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) soll 500 weiteren Menschen die Flucht aus Mariupol gelungen sein.
Ein IKRK-Team habe einen Konvoi aus Bussen und Privatautos in die südukrainische Stadt Saporischschja geleitet, nachdem die Zivilisten auf eigene Faust aus Mariupol geflohen seien, teilt die Hilfsorganisation mit. Allerdings benötigten weiterhin Tausende Zivilisten, die in Mariupol eingeschlossen seien, sicheres Geleit und Hilfe, sagt der IKRK-Delegationsleiter in der Ukraine, Pascal Hundt.
Die humanitäre Lage im eingekesselten Mariupol verschlechtere sich unterdessen weiter, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Die meisten der verbliebenen Einwohner von Mariupol müssen ohne Licht, Kommunikationsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Heizung oder Wasser auskommen, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Die russischen Streitkräfte hätten den Zugang für humanitäre Hilfen verhindert, wahrscheinlich um den Druck auf die Verteidiger zur Kapitulation zu erhöhen.
Ziel zahlreicher Attacken war in der Nacht auch die Großstadt Charkiw. Es habe 27 Angriffe mit verschiedenen Waffen gegeben, schrieb der Gouverneur des gleichnamigen Gebiets, Oleh Synjehubow, auf Telegram. "Der Feind will uns demoralisieren und führt weiterhin chaotische Schläge gegen die zivile Infrastruktur aus." Die zweitgrößte Stadt des Landes steht seit Kriegsbeginn am 24. Februar fast ununterbrochen unter Beschuss.
Russland hat auch seine Angriffe auf die ukrainische Hauptstadtregion fortgesetzt. In den Dörfern Welyka Dymerka und Bogdanikowa im Großraum Kiew sind laut Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft vom Dienstag zwölf Menschen durch Gewehrfeuer und Artillerie getötet worden. In Butscha gingen unterdessen die Aufräumarbeiten weiter. Bei einem Ortsbesuch sagte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrsky, dass in den Wohnungen und Wäldern noch "dutzende Leichen" lägen.
Das "Regime" in Kiew ignoriere ständig Aufforderungen, die Kämpfe einzustellen, hatte zuvor der russische Verteidigungsministeriumssprecher Igor Konaschenkow Dienstagabend in Moskau gesagt. Die Truppen sollten die Waffen niederlegen und aus der Stadt über die vereinbarten Korridore abziehen. Kiew habe aber kein Interesse daran, das Leben seiner Soldaten oder der Menschen in der Stadt zu schützen.
"Mariupol wird durch die Einheiten der russischen Streitkräfte und der Donezker Volksrepublik befreit von den Nationalisten", sagte Generalmajor Konaschenkow. Sein Kollege Michail Misinzew erzählte, dass die humanitären Korridore kaum funktionierten. Die russische und die ukrainische Seite werfen sich immer wieder gegenseitig Verstöße gegen die Feuerpause vor. Die russischen Streitkräfte teilten mit, sie hätten zwei ukrainische Kampfhubschrauber in der Stadt abgeschossen. Überprüfbar waren diese Angaben aber nicht.
Die Ukraine wirft Russland einen brutalen Angriffskrieg und eine Vielzahl von Kriegsverbrechen auch in Mariupol vor. Russland hatte die selbsternannte Volksrepublik Donezk und die benachbarte Region Luhansk im Februar gegen internationalen Protest als unabhängige Staaten anerkannt und war dann in die Ukraine einmarschiert.
Einheiten der "Volksrepublik" Luhansk setzten nach Angaben des Ministeriums in Moskau ebenfalls ihre Angriffe in der Ostukraine fort. Dabei seien etwa 50 ukrainische Kämpfer getötet worden, betonte Generalmajor Konaschenkow. Mit Raketen seien zudem ein Kommandopunkt, ein Kraftstofflager und ein Werk für die Reparatur von Panzertechnik zerstört worden.
Unterdessen konnte laut Angaben aus Kiew am Dienstag mehr als 3.800 Menschen aus umkämpften Gebieten des Landes evakuiert werden. Rund 2.200 Menschen seien aus der schwer umkämpften und größtenteils zerstörten Stadt Mariupol und dem nahen Berdjansk nach Saporischschja gebracht worden, teilte die Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer auf Telegram veröffentlichten Videobotschaft am Dienstag mit. Weitere mehr als 1.000 Menschen seien aus der Region Luhansk in Sicherheit gebracht worden
Die USA wollen der Ukraine Schutzausrüstung liefern, die bei einem russischen Einsatz von chemischen oder biologischen Waffen angewendet werden kann. Das sagte ein Vertreter der US-Regierung am Dienstagabend. Die Ausrüstung, um die Kiew gebeten hat, werde fortlaufend in die Ukraine geschickt. Ein Teil sei bereits versendet worden, hieß es.
Außerdem haben die USA zusätzliche Militärhilfen in Höhe von bis zu 100 Millionen Dollar (92 Millionen Euro) angekündigt. Damit solle "ein dringender ukrainischer Bedarf an zusätzlichen Javelin-Panzerabwehrsystemen gedeckt werden", erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby am Dienstag. Die tragbaren Raketen hätten sich bei der Verteidigung gegen die russische Invasion "bewährt". Kirby zufolge haben die USA somit seit Beginn der russischen Invasion das ukrainische Militär mit "mehr als 1,7 Milliarden Dollar" unterstützt. Der US-Außenminister Antony Blinken erklärte, die zusätzlichen Hilfen würden "sofort" bereitgestellt. Er fügte hinzu, dass "die Welt schockiert und entsetzt ist über die Gräueltaten, die von den russischen Streitkräften in Butscha und in der gesamten Ukraine begangen wurden".
Auch die deutsche Regierung will laut SPD-Chef Lars Klingbeil weitere Waffenlieferungen an die Ukraine prüfen. "Wir haben gerade in diesen Tagen gesehen, was Putin für ein furchtbarer Kriegsverbrecher ist, das darf nicht ohne Konsequenzen bleiben", sagte Klingbeil in der Sendung "RTL Direkt" am Dienstagabend mit Bezug auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.