Ex-Mossad-Chef kritisert Israels Führung
Von Norbert Jessen
Israel will Veränderung" lautete am Samstagabend die Devise einer Massenveranstaltung. Sie zog mehr als 30.000 Demonstranten auf den Rabin-Platz in Tel Aviv und eröffnete die Endphase des israelischen Wahlkampfes bis zum 17. März. Ohne Aufruf für eine bestimmte Partei zu wählen, sondern gegen einen ganz bestimmten Mann zu stimmen: Premier Benjamin Netanyahu.
Politik ohne Vision
Kein Politiker trat vor das Mikrofon. Allein Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wandten sich an die Teilnehmer. Die zentrale Rede hielt Meir Dagan, Ex-Chef des Geheimdienstes Mossad. "Eine so tiefe Führungskrise wie heute gab es seit Bestehen des Staates Israel nicht." Nach sechs Jahren Amtszeit Netanyahus sei Israels Politik festgefahren. Ohne Vision, ohne Handlungsmut. "Unsere Führung macht mir mehr Angst als die in Teheran", sagte Dagan. Diese sei zwar tatsächlich eine Gefahr. "Sie kann aber nicht durch eine Kriegserklärung gegen die USA bekämpft werden."
Unter den weiteren Rednern waren ebenfalls Ex-Militärs, die Witwe eines Gefallenen aus den Gaza-Kämpfen letzten Sommer und bekannte israelische Künstler. Reservegeneral Amiram Levin warnte vor Panikmache unter den Wählern: "Israel steht derzeit vor keiner direkten existenziellen Gefahr." Das sei eine Lüge, um vom Scheitern in fast allen Bereichen abzulenken: von überhöhten Preisen, Wohnungsmangel und Korruption. Das macht viele Israelis wütend.
Die Likud-Führung sah sich auch durch die Enthüllung eines US-Dokuments in der Zeitung Yedioth bloßgestellt. Demnach war Netanyahu im Vorjahr bereit, mit den Palästinensern "auf Grundlage der Demarkationslinien von 1967" zu verhandeln. Vor 20 Jahren machte Netanyahu dies dem damaligen Kandidaten Shimon Peres zum Vorwurf: "Er spaltet Jerusalem".
Die Likud-Führung dementierte entschieden. Aber ausgerechnet ein Konkurrent von Rechts, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, bestätigte das Dokument. Ein Likud-Sprecher konterte: "Was ist denn jetzt? Will Netanyahu auf nichts oder auf alles verzichten?"
Den überparteilichen Organisatoren der Demo, "Eine Million Hände", warf der Likud vor, durch ausländische Agenten finanziert zu sein. Tatsächlich hat diese Initiative nur ein Ziel: Weg mit Netanyahu. Sie treten für eine politische Lösung des Palästinenserkonflikts und soziale Gerechtigkeit ein.
Dabei müsste Netanyahu sich keine großen Sorgen machen. In Umfragen sieht ihn fast die Hälfte der Befragten als den geeignetsten Premier unter den Kandidaten. Aber selbst unter Likud-Wählern wächst die Unlust, noch einmal Netanyahu zu wählen – das kann entscheidend sein.