Kidasheli: "In der Mitte Europas ist Krieg"
20 Minuten dauert die Rede der georgischen Verteidigungsministerin Tinatin Khidasheli beim Europa-Forum Wachau, aber diese 20 Minuten haben es in sich: Die 42-jährige Mitterechts-Politikerin, die seit Mai im Amt ist, liest den europäischen Repräsentanten die Leviten: Sie bezichtigt die EU-Kommission und etliche Regierungen mit Ausnahme der Balten, keine Ahnung von der "aggressiven Politik" des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin zu haben. "Er will Nationen trennen, er hat einen klaren Plan. Aber viele in der Welt hören nicht mehr hin, wenn er etwas sagt ", kritisiert sie die EU-Partner.
Dann wird die Juristin noch deutlicher: "In der Mitte Europas gibt es Krieg. Was Russland in der Ukraine macht, ist die Fortsetzung dessen, was im Jahr 2008 in Georgien begann" (Kaukasuskrieg zwischen Georgien und Russland, Südossetien, Abchasien).
Khidasheli geht davon aus, dass Russland die ganze Ukraine "zurückholen" wolle. "Wenn die EU das nicht sieht, sind die Balten die Nächsten."
Reisefreiheit
Unzufrieden ist sie auch mit der Nachbarschaftspolitik der EU. Georgien hat bereits ein Assoziationsabkommen mit der EU, aber noch keine Visa-Liberalisierung. "Das ist unverständlich. Die EU entscheidet politisch."
"Völlig falsch" ist für sie das erklärte Ziel der EU, bis 2020 ganz sicher keine neuen Mitglieder aufnehmen zu wollen. "Was soll Georgien noch alles tun, um beitrittsreif zu sein?", fragt sie Johannes Hahn.
Der für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn sitzt in der ersten Reihe und hörte der Politikerin geduldig zu. Er hat jetzt andere Probleme, nämlich 20 Millionen Flüchtlinge in der europäischen Nachbarschaft, davon 16 Millionen Syrer, die nur darauf warten, in die EU zu kommen.
Hahn verteidigt den vorläufigen Erweiterungsstopp: "Ich muss eine Balance finden zwischen den Anliegen der Länder, die Mitglied werden wollen, sowie der Aufnahmefähigkeit der EU und der Stimmung in der Bevölkerung", sagte er zum KURIER.
Was die Reisefreiheit für Georgier angehe, zeigte sich Kommissar Hahn optimistisch. "Ich gehe davon aus, dass der Prüfbericht im Dezember positiv sein wird."
Brüchiger Balkan
Am Rande des Europa-Forums hatte Hahn noch ein Vier-Augen-Gespräch mit dem serbischen Premier Aleksandar Vučić. Hahn möchte, dass der Beitrittskandidat Serbien sich rascher an EU-Gesetze und Standards anpassen müsse, weil Serbien "ein wichtiger Stabilitätsfaktor für die fragile Balkan-Region ist". Die Beitrittsverhandlungen werden jedenfalls "ein jahrelanger Prozess", räumte der Erweiterungskommissar ein. Vučić blieb gelassen, er weiß das ohnehin. Dennoch lobte er den Kommissar: "Hahn versteht den Westbalkan." Auch dass die Regierung in Belgrad – parallel zur EU-Integration – ihre guten Beziehungen zu Russland behalten wolle.