Europa nach Merkel: „Der Wandel kommt jetzt von Grünen und der FDP“
Die Geschwindigkeit wird ein wenig gedrosselt. Aber sonst läuft vorerst alles ungehindert weiter, im gigantischen Maschinenraum namens EU. Vorerst – denn ohne eine neue Regierung in Berlin sind die großen Entscheidungen in der EU nicht zu machen:
Ob bei der Migration, der EU-Verteidigung, Klimaschutz oder der Schuldenpolitik – Kanzlerin Angela Merkels Nachfolger wird bei all diesen Fragen eine Richtung vorgeben, an der die 26 anderen EU-Staaten nicht vorbei können.
Wie schnell also wird es gehen, bis Deutschlands Regierung steht und die gesamte EU wieder voll handlungsfähig ist? „Bundes-Vague“ titelte die französische Zeitung Liberation in einem Wortspiel auf den „Bundes-Tag“:
„Vage“, also irgendwie ungewiss sei der Ausgang dieser Wahlen, schreibt das Blatt – und spricht vielen Franzosen aus der Seele. Langwierige und komplizierte Koalitionsgespräche befürchtet man in Paris.
Eine „Hängepartie“ schließt selbst der SPD-EU-Abgeordnete Jens Geier nicht aus, ein Zeitverlust, den sich die EU gar nicht leisten könne, meinte er gegenüber dem Spiegel.
Kontinuität
Die Sorge über eine allzu langsame Regierungsbildung überstrahlt in Brüssel jedenfalls die Frage, wer letztlich neuer deutscher Kanzler wird: „Ob Scholz oder Laschet, wir werden von deutscher Seite jede Menge Kontinuität erleben“, ist sich die Politologin Jana Puglierin sicher.
Welche Parteien sich schließlich, zu welcher Koalition zusammenfinden, ist aus Brüssels Perspektive nachrangig. Denn alle – SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP – gelten als europafreundlich.
Die Chefin des Berlin-Büros des Think Tanks European Council on Foreign Relations (ECFR) sieht bei Scholz und Laschet im Umgang mit China oder Russland „nicht so viele Unterschiede. Der Wandel kommt jetzt hingegen von der FDP und den Grünen“, sagt Puglierin. Dass die Liberalen und die Ökopartei in die deutsche Regierung einziehen werden, nimmt man in Brüssel fast schon als fix an.
Und als Teil der mächtigsten Regierung in der EU werden Grüne und FDP ihre Spuren ziehen. Wobei vor allem südeuropäische Medien bereits bange fragen: Würde ein möglicher FDP-Finanzminister Christian Lindner die gesamte EU wieder in Richtung rigorosen Sparkurs zwingen und auf die Schuldenbremse steigen?
Politologen aber geben zu bedenken: Lindner sei der Chef einer 11-Prozent-Partei. Seine Macht und Hebel seien also begrenzt.