EU will Verhandlungen mit der Türkei beleben
Ratspräsident Herman Van Rompuy gilt nicht gerade als glühender Befürworter eines EU-Beitrittes der Türkei. Mit dieser Haltung ist er in der EU auch nicht alleine.
Jetzt zeigt er sich in Ankara durch und durch gewandelt: Bei seinem Treffen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan am Donnerstag verlangte er einen „raschen Neustart der Beitrittsverhandlungen“, noch im Juni erwarte er Gespräche über das Kapitel Regionalpolitik. Der ansonsten kühl wirkende Belgier war sichtlich gerührt als Erdoğan die Einladung nach Brüssel annahm.
„Es gibt jetzt positive Signale der EU, die Türkei ist ein interessanter Markt“, sagt Gerald Knaus, Chef des Thinktanks „Europäische Stabilitätsinitiative“ (ESI).
Pragmatismus und Eigennutz sind die treibenden Kräfte der EU, sich der Türkei anzunähern. In Frankreich macht der Industrieverband Druck auf Staatspräsident François Hollande, die Blockadehaltung aufzugeben. In Deutschlands ist es Außenminister Guido Westerwelle, der rasche Beitrittsverhandlungen will und einen Krach mit Bundeskanzlerin Angela Merkel riskiert. Unternehmen aus EU-Staaten sind die größten Investoren in der Türkei.
Jahrelang lehnte die EU die Visafreiheit für Türken ab. Schließlich machte Erweiterungskommissar Štefan Füle ein Verhandlungsangebot – mit dem Wunsch nach Gegenleistungen: Eine engere Kooperation im Kampf gegen illegale Migranten. Außerdem müsste die Türkei Flüchtlinge aus Drittstaaten zurücknehmen.
Die Regierung in Ankara ist bisher nicht darauf eingegangen. Sie findet, dass der Türkei ebenso die Visafreiheit zustehe wie allen anderen Beitrittskandidaten am Balkan. ESI-Chef Knaus, ein ausgewiesener Türkei-Experte, der zwischen Ankara und Brüssel vermittelt, empfiehlt Visa-Verhandlungen: „Es zahlt sich für die Türkei aus, den guten Willen der EU zu testen“, sagt er zum KURIER.
Sollten Visa-Verhandlungen im Zuge der neuen EU-Türkei-Entspannungspolitik aufgenommen werden, dauert es zwei Jahre bis Türken frei in die EU reisen dürfen. Für Knaus wäre die Visafreiheit ein Symbol an die türkische Bevölkerung. Seit Jahren wendet sie sich frustriert von der EU ab. Nur mehr ein Drittel der Türken befürworten derzeit einen Beitritt zur EU. Vor sechs Jahren waren es noch mehr als 70 Prozent.