EU- und NATO-Beitritt für ukrainischen Außenminister alternativlos
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sieht momentan keine Signale aus Russland, "dass es für den diplomatischen Weg bereit wäre", wie er in einem Interview mit der Presse am Sonntag sagt. Mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow würde er verhandeln, diesem aber nicht die Hand geben, weil dessen "Hände mit Blut bedeckt" seien. Ein Beitritt der Ukraine zu EU und NATO sei alternativlos, da nur so die langfristige Stabilität Europas gesichert werden könne.
"Mein Ziel ist es, ukrainische Beamte an jedem Checkpoint unserer östlichen Grenze zu sehen", sagt Kuleba. Sobald man alle Waffen erhalten habe, "die wir für die Gegenoffensive brauchen, werden wir sie starten". Zur Zeit arbeite man daran, "die Lieferungen unserer Partner zu beschleunigen", vor allem Artilleriemunition werde benötigt. "Denn das Ausmaß des Kriegs ist so groß, dass wir wahrscheinlich nie genug Munition haben, bis wir gewonnen haben."
"Verheerende" Schlacht um Bachmut
Die Schlacht um die heftig umkämpfte Stadt Bachmut sei "verheerend", dennoch sei ein Rückzug der ukrainischen Armee keine Lösung, sonst rücke "derselbe Albtraum nur tiefer ins ukrainische Territorium vor", betont Kuleba. "Wir beanspruchen nicht mehr als jeden Quadratmeter unseres eigenen Territoriums", sagt der ukrainische Außenminister. Seine Aufgabe sei es jedenfalls, "alles zu tun, damit die Ukraine in einer möglichst starken und Russland in einer möglichst schwachen Position an den Verhandlungstisch kommen".
Den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGh) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin begrüßt Kuleba, denn die wichtigste Botschaft laute, dass Putin nun "nicht nur ein politisch, sondern auch ein juristisch Angeklagter" sei, "und zwar durch eine etablierte Institution". Einen unmittelbaren Putsch in Russland erwarte er deswegen nicht, dennoch sei der Haftbefehl "ein weiterer - sehr großer - Tropfen der Unzufriedenheit und Beklemmung im Glas der russischen Elite".
Bisher kein Telefonat zwischen Xi Jinping und Selenskij
Die Rolle Chinas sei momentan eher eine beobachtende, sagt Kuleba weiters. "China wägt den gegenwärtigen Spielstand ab, bevor es entscheidet, ob es seine Bemühungen intensiviert oder so weitermacht". Zu einem Telefonat zwischen Chinas Staatschef Xi Jinping und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij sei es jedenfalls bisher noch nicht gekommen. "Jedes Mal, wenn wir unsere chinesischen Kollegen an eine Anfrage für ein Telefonat oder ein Treffen unserer Staatsoberhäupter erinnern, lautet die Antwort, dass sie daran arbeiten." Dieselbe Antwort habe er seit Februar 2022 immer wieder gehört.
Kritisch sieht Kuleba indes die Aussagen von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), wonach sich Europa nicht komplett von Russland entkoppeln könne, da es nicht von der Landkarte verschwinden werde. Wenn man dies nicht tue, bedeute das, "dass man sich nicht von einem kinderstehlenden Kriegsverbrecher entkoppeln kann, dessen Taten jenen des Nazi-Regimes gleichen, das mit dem Lebensborn-Programm Kinder aus besetzten Gebieten entführt hat", sagt der ukrainische Außenminister. Sich nicht davon zu distanzieren, sei für Österreich problematisch. Schallenberg sei ein Freund, hätte sich hier aber "präziser ausdrücken sollen", so Kuleba.
Kuleba zur österreichischen Neutralität
Das Engagement von Raiffeisen in Russland sei ein Fehler, die Bank werde dies noch bereuen, glaubt er weiters. "Jedes Unternehmen, egal, welcher Nationalität, sollte sich aus Russland zurückziehen, wenn ihm sein Ruf etwas bedeutet und es nicht Teil des kriminellen Putin-Regimes sein will."
Die österreichische Neutralität sei zu respektieren, betont Kuleba, dennoch könnte Österreich "die ukrainische Armee mit mehr nicht tödlicher Hilfe unterstützen", dafür sei aber politischer Wille erforderlich. Österreich sei jedenfalls wie Deutschland oder die Niederlande Teil eines Lagers gewesen, "das vor der russischen Invasion das unausgesprochene Konzept eines Verbleibs der Ukraine in einer Grauzone zwischen Russland und der EU" propagiert habe. "Das ist genau die Strategie, die uns dahingeführt hat, wo wir jetzt stehen."
100 Millionen Euro seit Kriegsbeginn
Im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität habe Österreich seit Beginn des russischen Angriffskriegs rund 100 Millionen Euro für nicht-letale Unterstützung zur Verfügung gestellt, sagte die Sprecherin Schallenbergs am Samstagabend gegenüber der APA. Darüber hinaus sei Österreich laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft gemessen am BIP der größte Geber von humanitärer Hilfe für die Ukraine. Österreich unterstütze auch das Büro des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofs mit 200.000 Euro und einer Expertin aus dem Justizministerium. Zudem setze man sich für ein Sondertribunal zur Verfolgung der russischen Aggression in der Ukraine ein, so die Sprecherin.