Politik/Ausland

Erdoğan verliert an Anhängern – auch unter Austrotürken

„Erdoğan steht politisch und wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Daher sucht er händeringend nach Themen, mit denen er punkten kann“, analysiert Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör die jüngsten Verbalinjurien des türkischen Präsidenten.

Wenn dieser infolge der israelischen Flagge auf dem Kanzleramt Österreich verfluche, stelle er sich einmal mehr als Schutzpatron der Muslime dar. Das bringe ihm eine Atempause.

Mehr aber auch nicht. Aus punktueller Zustimmung lasse sich nicht unbedingt ein Zustrom ableiten, meint Güngör. Denn Erdoğans Glanz verblasse infolge der Wirtschaftskrise am Bosporus zusehends. In der Türkei, aber auch unter Austrotürken.

Nur mehr 33 Prozent Zustimmung

Umfragen zufolge liegt die AKP, die Partei des türkischen Präsidenten, aktuell nur mehr bei 33 Prozent Zustimmung. Und selbst von jenen, die Erdoğan wählen, glauben 70 Prozent nicht mehr an eine positive wirtschaftliche Zukunft. Etliche Entscheidungen wie etwa der Auszug aus der Istanbul-Konvention, Erdoğans Wirtschafts- wie Corona-Politik waren zuletzt selbst bei Kernwählern umstritten.

Diese „emotionale Distanzierung“ lasse auch in Österreich den Anteil der Erdoğan-Fans schrumpfen, sagt Güngör.

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Messbar sei der Grad der Zustimmung hierzulande zwar nicht. Nachdem im Vorjahr noch etwa die Hälfte der Austrotürken als AKP-nahe einzustufen waren, dürften es mittlerweile aber eher „um die 40 Prozent“ sein.

Heterogene Gruppe

Die (Austro-)Türken gibt es ohnehin nicht. Die je nach Schätzung 250.000 bis 350.000 in Österreich lebenden Personen mit türkischem Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe.

Weltanschauung und politische Einstellung variieren. Je nach Herkunft aus ländlichen oder urbanen Gebieten unterscheiden sich die Milieus. Wobei ein Gutteil der Gastarbeiter, die in Österreich Fuß fassten, aus Zentralanatolien gekommen war. Der religiös-konservative Bevölkerungsanteil ist dort groß – und damit die Zustimmungsrate zur AKP, wie auch Politologe Cengiz Günay ausführt.

Kurden, Aleviten, Kemalisten oder Linksliberale wählen dagegen eher nicht Erdoğan.

Bis seine Popularität nachzulassen begann, gelang es Erdoğan, sich als Integrationsfigur zu vermarkten. Fans assoziierten ihn anfangs mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Türkei. Durch ihn empfänden viele Türkischstämmige, die sich in der Diaspora bestenfalls geduldet fühlen, eine Aufwertung, erläutert Güngör. „Er vermittelt ihnen das Gefühl der Anerkennung und der Zugehörigkeit.“ So entstehe ein „Wir“-Gefühl.

Dazu kommt bei vielen Austrotürken die emotionale Bindung an ein Land, in dem viele noch Familie haben - und das sie nur aus dem Urlaub kennen.