Politik/Ausland

Ein Land unter Schock: Bosnier übertrug Mord an Ex-Frau live auf Instagram

Um 10.20 Uhr startete der Bodybuilder Nermin S. am Freitag den Livestream auf seinem Instagram-Profil. Oberkörperfrei starrte er in die Kamera und erklärte den Zuschauern, was sie erwarten würde: "Gleich werdet ihr einen Mord live erleben." Dann zeigte er die Pistole in seiner Hand, richtete erst das Handy, dann die Waffe auf seine Ex-Frau und drückte ab. Im Hintergrund war Kindergeschrei zu hören.

Zwischenzeitlich schauten mehr als 12.000 Menschen online zu, wie der 35-Jährige in seiner Heimatstadt Gradačac im Norden Bosniens völlig durchdrehte. Während die Polizei ihn bereits verfolgte, beendete und startete Nermin S. die Live-Übertragung immer wieder neu; filmte, wie er durch die Straßen lief und dabei wahllos auf Passanten feuerte.

Er tötete noch zwei Menschen - einen Vater und seinen Sohn - und verletzte drei weitere, bevor er von der Polizei eingekreist wurde. Erst dann erschoss sich Nermin S. selbst. Die Videos waren anschließend noch knapp drei Stunden auf Instagram verfügbar. Das Profil von Nermin S. gewann in dieser Zeit mehr als 300 neue Follower. Inzwischen wurde es von der Plattform gelöscht.

Opfer hatte mehrfach Morddrohungen durch ihren Ex-Mann gemeldet

Der grauenvolle Mord mit anschließendem Amoklauf hält Bosnien auch Tage danach noch in Atem. Menschenrechtsminister Sevlid Hurtić sprach von einer "gewaltigen Schande für unser Land", Premierminister Nermin Nikšić rief am Mittwoch eine eintägige Staatstrauer aus und erklärte: "Mir fehlen noch immer die Worte." Öffentliche Veranstaltungen wurden ausgesetzt, darunter das prestigeträchtige Sarajevo Film Festival. Doch weiterhin bleiben viele Fragen offen.

Warum etwa hatte die Polizei vorab keine Schutzmaßnahmen für Nizama H. - das spätere Opfer - ergriffen? Schließlich hatte sie bereits mehrfach angegeben, Morddrohungen von ihrem Ex-Mann erhalten zu haben sowie von ihm geschlagen worden zu sein. Nermin S. war zudem kein unbeschriebenes Blatt, er war wegen Drogenhandels und einem Angriff auf einen Polizisten vorbestraft.

"Es ist nur der letzte in einer Reihe von Femiziden und anderen schweren Fällen von Gewalt an Frauen in Bosnien und Herzegowina", kritisierte Ingrid McDonald, UNO-Vertreterin im Land. Landesweit kam es zu Demonstrationen für den Schutz und gegen Gewalt an Frauen - mit der Forderung an die Regierung, schnellere Reaktionen der Polizei juristisch zu ermöglichen.

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Unterstützungserklärungen für den Täter auf Instagram

Die nächste Dimension des Verbrechens, der Livestream, wirft weitere Fragen auf: Warum sahen so viele Menschen bei Nermin S. Morden live zu? Und warum waren die Aufnahmen auch Stunden später noch frei auf Instagram verfügbar, wo pornografische Inhalte schon nach Minuten automatisiert gelöscht werden?

Seit Tagen werden beide Fragen im öffentlichen Diskurs aufgearbeitet. "Menschen sind von Tragödien fasziniert. Und je schlimmer die Tragödie ist, desto stärker zieht sie die Menschen an", erklärt die bosnische Psychotherapeutin Vahida Djedović gegenüber Radio Free Europe. Deshalb sei auch die Berichterstattung über Verbrechen weltweit so beliebt.

Die Vergangenheit habe die bosnische Bevölkerung aus ihrer Sicht aber besonders desensibilisiert: "Der Krieg hat viele von uns wohl daran gewöhnt, ständig in Angst leben zu müssen - und Angst produziert Adrenalin. Als Nation sind wir abhängig von diesem Adrenalin geworden", so Djedović. Sie selbst sei entsetzt gewesen, als sie von dem Mord gehört hatte.

Menschenrechtsminister Sevlid Hurtić sprach angesichts der 126 "Likes" sowie etlicher unterstützender Kommentare unter den Mord-Videos auf Instagram von einer "gewaltigen Schande für unser Land". Die Abteilung für Cyberkriminalität innerhalb der bosnischen Polizei gab an, erst gegen 12.20 Uhr von dem Livestream erfahren zu haben - obwohl die Kollegen in Gradačac da bereits in vollem Einsatz waren.

Auch Instagram-Kommentatoren droht rechtliches Ungemach

Sofort habe man eine Anfrage an den Instagram-Mutterkonzern META gestellt, das Profil des Täters zu löschen. Die Videos waren allerdings noch eine knappe Stunde online, gelöscht wurden sie letztlich nicht von Instagram selbst, sondern von Polizeibeamten in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium.

Die Kritik am US-Konzern ist entsprechend groß: "Die stundenlange Verbreitung eines solchen Videos auf Instagram hat die Schwäche der Mechanismen zur Meldung und Entfernung störender Inhalte auf sozialen Medien und die Verantwortungslosigkeit von META gezeigt", heißt es vonseiten der Behörden. Man habe deshalb bei META um Hilfe bei der Aufklärung angesucht.

Auch für jene Instagram-Nutzer, die unter Nermin S.' Videos Kommentare hinterließen, dürfte der außergewöhnliche Fall Folgen haben: Das Innenministerium gab bekannt, dass sie alle ausgeforscht und einvernommen werden sollen - und rechtliche Konsequenzen drohen.

 

Anmerkung: In der ursprünglichen Version wurde der Name der Toten, Nizama H., fälschlicherweise als Nezama H. ausgewiesen.