Macht der Bilder: Wie das Foto entstand, das Trump "Heiligenstatus" verleiht
Von Johannes Arends
Es sieht aus wie ein Renaissance-Gemälde, wie der Höhepunkt einer mit viel Pathos inszenierten Theaterszene: Sekunden, nachdem auf ihn geschossen wurde, steht Ex-US-Präsident Donald Trump mit erhobener Faust in einem Pulk aus Agenten des Secret Service. Trump blickt in die Ferne, ruft seinen Anhängern zu: "Kämpft!" Dahinter, zur Gänze im Bild, weht die Flagge der Vereinigten Staaten.
Es ist schon jetzt das ikonische Bild des gescheiterten Attentatsversuchs auf Donald Trump am Samstagabend, ein Foto für die Ewigkeit, das sich wohl noch auf Jahrzehnte hinaus in Schul- und Geschichtsbüchern wiederfinden wird. Geschossen hatte es Evan Vucci, leitender Fotograf der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in Washington und Pulitzer-Preisträger.
Trump-Fotograf erzählt: "In diesem Job geht es immer darum, vorauszudenken"
"Ich hörte die Schüsse, also rannte ich auf die Bühne zu, wo die Secret-Service-Agenten damit begonen hatten, Trump abzuschirmen", erzählt Vucci dem britischen Guardian. In solche Situationen sei es die Aufgabe des Secret Service, "Trump mit ihren Körpern völlig zu verdecken", damit kein Schütze ihn mehr ins Visier nehmen könne.
"Sie kamen aus allen Richtungen. Also habe ich mir gedacht: Was passiert als nächstes? Wohin werden sie ihn bringen? Wo muss ich stehen? In meinem Job geht es immer darum, vorauszudenken", so Vucci. Er habe sich also vor der Bühne in die Richtung bewegt, in der er Trumps Auto vermutete.
Dann, erzählt Vucci, "blieb Trump plötzlich stehen und kämpfte sich zwischen den Agenten irgendwie nach vorne". Auf Videoaufnahmen ist zu hören, wie Trump sagt: "Wartet, wartet, wartet", bevor er seinen Anhängern für ein paar Sekunden die Faust entgegenstreckt und ruft: "Kämpft! Kämpft! Kämpft!".
Vucci habe in diesem Moment einfach abgedrückt, seine Kamera schickte die Fotos automatisch an die Redaktion in Washington. Erst rund eine Stunde später, als die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort beendet waren, habe er sein eigenes Bild zum ersten Mal gesehen. Da war es schon um die Welt gegangen.
"Ein legendäres amerikanisches Foto", "Eine Inkarnation des Trotzes"
Nicht wenige politische Beobachter erklären diesen Moment, an dem Trump sich entschied, die Faust zu ballen, für den wahrscheinlich entscheidenden in diesem Wahlkampf. Wegen der Bilder, die dabei entstanden.
Es gibt viele Meinungen darüber, was Vuccis Schnappschuss so besonders macht. Für ihn selbst ist es "das Blut auf dem Gesicht, die Flagge, die Faust - viele starke Emotionen auf einem Bild. Ich denke, das ist es, worauf die Leute reagieren."
Für den Guardian ist es die Komposition des Bildes: "Der Blick wird stets auf Trumps Gesicht geleitet, die Action um ihn herum ist wie ein Rahmen." Während Videos des Attentatsversuchs das Chaos, die Panik und Hektik vor Ort veranschaulichen, "fängt dieses Bild die Hitze der Nachricht ein und verlangsamt sie".
Die New York Times schlagen in dieselbe Kerbe: "Für die Fernsehkameras war alles ein einziger Tumult. Erst im Objektiv der Fotokamera wurde der Schrecken des Angriffs in seiner Reinform festgehalten und Trump als Verkörperung von Autorität, Trotz und Beinahe-Märtyrertum dargestellt." Der Ex-Präsident sei damit zu einer "Inkarnation des Trotzes" geworden.
Agenten des Secret Service schirmen Trump sofort ab, damit kein Schütze mehr freie Sicht auf den EX-Präsidenten hat. In dem Chaos ist Trump auch für die meisten Fotografen vor Ort nicht mehr sichtbar.
Das US-Magazin Atlantic nennt das Bild "ein legendäres amerikanisches Foto" und widmete ihm einen eigenen Text, in dem es heißt: "Was fasst unsere amerikanischen Ideale treffender zusammen als blutiger Trotz und sturer Stolz, der gerade so an Dummheit kratzt? Kein Kauern, kein Verstecken - sondern das unerschrockene und unbeirrte Durchstehen eines Attentatversuchs mit erhobener Faust."
Das Foto diene deshalb als dringend benötigtes Fenster in die Seele der MAGA-Bewegung und mache greifbar, warum so viele Menschen Trump verfallen: "Es war ein Moment, an dem die Vorstellung Trumps in den Köpfen seiner Anhänger - stark, widerstandsfähig, stolz - mit der Realität kollidierte."
Trump selbst spielt auf Vergötterung an
Für die meisten seiner Anhänger war Trump ohnehin bereits ein Held. Nun, nachdem er sogar einen Attentatsversuch überlebt hat, ist der 78-Jährige in ihren Augen endgültig ein Märtyrer, erhält fast schon Heiligenstatus. Am Montag, dem Auftakt des republikanischen Parteitags in Milwaukee, trafen sich hunderte Anhänger zum Gebet, um Gott dafür zu danken, "dass er unseren Präsidenten verschont hat".
Trump selbst bediente dieses Bild noch am Sonntag: "Gott alleine hat mich vor dem Undenkbaren bewahrt", schrieb er auf seiner eigenen Social-Media-Plattform Truth Social. Am Abend wiederholte er in einem Interview mit der New York Post: "Durch Glück oder Gott - viele Menschen sagen, es ist liegt an Gott, dass ich noch hier bin".
Auch zu Evan Vuccis womöglich epochalen Bild äußerte sich Trump: "Viele Leute sagen, es ist das ikonischste Foto, das sie jemals gesehen haben. Sie haben recht, und ich bin noch nicht einmal gestorben. Normalerweise musst Du sterben, damit ein Foto von dir wirklich ikonisch ist."