Politik/Ausland

Die Taliban drohen jetzt dem Westen

Seinen Vor-Ort-Analysen vertrauten westliche Medienleute, ja sogar Politiker. Jetzt müssen sie darauf verzichten. Bilal Sarwari hat mit seiner Familie auf einem der Evakuierungsflüge Afghanistan verlassen. Nach der Machtübernahme der Taliban sei die Situation „außer Kontrolle“, begründete der bekannte Journalist seinen Schritt: „Ich habe alles zurückgelassen, wofür ich seit mehr als 20 Jahren gearbeitet habe“, fügte er auf Twitter hinzu, „das ist niederschmetternd“.

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So wie Sarwari wollen weiterhin Tausende Afghanen ihre Heimat verlassen – und das einzige Tor zur Freiheit ist der Flughafen der Hauptstadt Kabul, für dessen Schutz vor allem die US-Streitkräfte sorgen. Doch zuletzt wurde es dort immer gefährlicher: Bei einem Feuergefecht wurde am Montag am Nordtor ein Soldat der von den Taliban geschlagenen afghanischen Armee erschossen. Mit Landsleuten bildete er den äußeren Verteidigungsring, die dahinter liegende, zweite Sicherheitsschleuse wird von GIs bewacht.

Warnung vor IS-Terror

Zugleich befürchten die USA Anschläge der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf den Airport. Ein solcher wäre verheerend, warten doch vor dem Areal Tausende Afghanen, die derzeit nur eines wollen – weg aus dem Chaos.

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Seit Beginn der Luftbrücke wurden bereits an die 40.000 Mitarbeiter westlicher Botschaften und Organisationen sowie deren lokale Kräfte ausgeflogen. Zehntausende weitere sollen noch folgen. Allerdings haben die USA angekündigt, ihre dementsprechenden Operationen mit Monatsende einzustellen.

London, Berlin drängen

Vor allem Deutschland und Großbritannien machten vor dem heutigen virtuellen Treffen der sieben wichtigsten Industrienationen (G 7) zu diesem Thema Druck auf Washington, die Frist zu erstrecken und die Menschen (vor allem Oppositionelle, Frauenrechtlerinnen, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten) in Kabul nicht im Stich zu lassen. US-Präsident Joe Biden hatte bereits im Vorfeld der Begegnung seine Bereitschaft zum Einlenken signalisiert – dabei aber offenbar die Rechnung ohne die Taliban gemacht. Denn diese ließen wissen, dass sie einer Verlängerung der Evakuierungsflüge nicht zustimmen würden. Der 31. August sei eine „rote Linie“, diese zu verschieben, käme einer Verlängerung der militärischen Besatzung gleich, argumentierte Suhail Schahin, ein Mitglied der Taliban-Delegation in Doha.

Männer müssen Bärte tragen

Im Land selbst senden die Radikal-Islamisten unterschiedliche Signale aus: Nach außen hin (zur internationalen Staatengemeinschaft) präsentieren sie sich als einigermaßen moderat, zugleich sollen sie Berichten zu Folge in der Provinzhauptstadt Kunduz die Männer angewiesen haben, sich die Bärte faustlang stehen zu lassen.

Auch hinsichtlich des Pandschirtales, das die Taliban als einzige Region des Landes nicht einnehmen konnten, ist die Strategie der „Gotteskrieger“ noch nicht klar erkennbar: Hieß es am Montag man wolle eine politische Verhandlungslösung, hatten die Taliban tags davor noch getönt, man wolle „Hunderte Kämpfer“ in das Gebiet schicken und es so unter Kontrolle zu bringen.

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Das unzugängliche Tal konnten die Dschihadisten auch während ihrer ersten Herrschaftsphase (1996 bis 2001) nicht erobern. Ahmad Shah Massoud, genannt der „Löwe von Pandschir“, verteidigte es mit Zähnen und Klauen. Heute befehligt sein gleichnamiger Sohn die entschlossene Anti-Taliban-Truppe.