Rebellen als Verlierer des Syrien-Abkommens
Danke Moskau! Laut Syriens Minister für Versöhnung, Ali Haidar, ist mit dem russisch-amerikanischen Plan zur Zerstörung der Chemiewaffen ein Krieg verhindert worden. Er bedankte sich dafür bei den russischen Verbündeten. Auch aus Paris, London, Berlin, von der UN, der NATO, bis hin zu Peking gab es Lob für den Genfer Vorstoß. Sogar der Iran hatte warme Worte für die USA: Die Einigung zeige, dass die Amerikaner „ein Minimum an Vernunft“ besitzen, sagte Parlamentspräsident Ali Laridschani.
Weniger erfreut zeigten sich die syrischen Rebellen, die seit zweieinhalb Jahren mit großen Verlusten gegen das Regime kämpfen. „Wir werden den Vorschlag vollständig ignorieren und weiterkämpfen bis zum Sturz des Regimes“, sagte der Generalstabschef der Freien Syrischen Armee, Salim Idriss.
Kritik kam aber auch von zwei einflussreichen US-Senatoren: Das sei der „Beginn einer diplomatischen Sackgasse“, Damaskus werde die Vereinbarung nutzen, um Zeit zu schinden, glauben die Republikaner John McCain und Lindsey Graham.
Präsident Barack Obama warnte Syrien erneut vor Spielchen. Das Pentagon bestätigte seine Warnung, die amerikanische Armee stehe weiter einsatzbereit. Ob das Regime in Syrien gut kooperiert, wird sich bald zeigen. Bis Samstag muss Damaskus seine Giftgasbestände vollkommen offenlegen. Dann kann mit Sicherung und Zerstörung der C-Waffenarsenale begonnen werden (siehe Artikelende).
Ein Militärangriff ist zwar in dem Genfer Abkommen nicht explizit vorgesehen, Washington betont aber, dass er weiter möglich ist. Die Mehrheit der Amerikaner, ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung, ist aber gegen einen Angriff. Laut einer Umfrage des Meinungsvorschungsinstituts Gallup von Anfang September sind 51 Prozent gegen einen Militärangriff. Etwa 24 Prozent meinen, was in Syrien geschieht, geht die USA nichts an, 19 Prozent sind gegen einen Involvierung in einem weiteren Krieg.
„Es war ein Fehler von Obama, eine rote Linie zu ziehen“, glaubt Publizist und Politikwissenschaftler Alexander Rosen. Obama habe sich selbst eine Grube gegraben, als er angekündigt hatte, man werde Assad zur Verantwortung ziehen, sollte er Chemiewaffen anwenden. „Es gibt einen Mechanismus, wie man in solchen Fällen vorgeht. Zuerst sollte man die Arabische Liga einschalten. Dann erst die UNO“, meint Rosen.
UN-Bericht
Am Montag will die UN den Bericht des Syrien-Inspektorenteams veröffentlichen, das in Syrien den Giftgasanschlag vom 21. August bei Damaskus mit 1400 Toten untersucht hat. Wie aus informierten Kreisen durchgesickert ist, soll der Bericht indirekt die Vermutungen der USA bestätigen, dass der Anschlag von Assads Truppen verübt wurde. Laut UN-Mandat dürfen die Inspektoren in dem politisch heiklen Dokument niemanden direkt beschuldigen. Doch aus Angaben, von wo die Raketen abgefeuert wurden, wird man Schlüsse ziehen können.
Russland glaubt unterdessen doch nicht an eine UN-Resolution in dieser Woche. Das Vorhaben der westlichen Partner zeuge davon, dass sie den Sinn der Sache nicht verstünden, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Montag nach einem Treffen mit seinem ägyptischen Amtskollegen Nabil Fahmi in Moskau. Lawrow kritisierte zudem der Agentur Interfax zufolge Forderungen nach einer starken Resolution mit Gewaltdrohungen gegen Syrien. Eine gemeinsame Erklärung mit den USA sehe einen Beschluss nach Artikel VII der UN-Charta nicht vor.
Die Atombombe des armen Mannes ist die Chemiewaffe“ – gemäß dieser international lang gültigen Devise hat auch Syrien auf die Entwicklung und Produktion von Chemiewaffen investiert. Dem Regime in Damaskus wird heute der Besitz von rund 1000 Tonnen an Kampfstoffen zugeschrieben, die es nach dem Vorschlag Russlands zu sammeln, sicher zu lagern und schließlich zu vernichten gilt. Dabei geht es vor allem um etwa 700 Tonnen des leicht flüchtigen Nervengas Sarin. Dazu kommen Bestände des „seßhaften“ Nervengases VX sowie des lange wirksamen hautschädigenden Kontaktgifts Senfgas.
Bis zum Ende des Kalten Krieges zählten Chemiewaffen zur gängigen Planung aller Militärszenarien, erzählten Strategen dem KURIER. Der qualvolle Tod der Menschen war kein Thema. Vielmehr ging es um eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Für die völlige Verwüstung eines Quadratkilometers gab es in den USA 1970 laut dem Ota Friedensforschungsinstitut folgende Berechnung: 2000 Dollar mit konventionellen Gefechtsmitteln, 800 Dollar mit einem nuklaren Sprengkörper und 100 Dollar mit chemischen Kampfstoffen.
Mittlerweile sind C-Waffen international geächtet und die USA und Russland haben viel Geld in die Vernichtung dieses Arsenals gesteckt. Ein Großteil der US-Bestände ist in den Verbrennungsfabriken in Arkansas und Tooele entsorgt worden. Noch laufen aber Verbrennungsanlagen in Alabama und Oregon sowie weitere Entsorgungseinrichtungen in Kentucky und Colorado. Noch zehn Jahre, schätzen die USA, brauchen sie bis zur Beseitigung aller Bestände.
Den Russen geht immer wieder das Geld aus, auch technische Probleme machten ihnen zu schaffen. Doch mit großzügiger Unterstützung Deutschlands, aber auch den Kanada, Großbritannien und der EU laufen jetzt mehrere russische Anlagen auf Hochtouren.
Jede einzelne Waffe muss zerlegt und entgiftet werden. Das darin befindliche Gift wird vorab getestet, um sicher zu gehen, womit man es zu tun hat. Erst danach steht fest, mit welchen Chemikalien das Gift neutralisiert werden kann. Auch das ist heikel und sehr aufwendig. Es wird noch viele Jahre dauern, bis in Russland das letzte Gift neutralisiert und entsorgt, die letzte Waffe entgiftet und eingeschmolzen ist. Für syrisches Giftgas haben weder die USA noch Russland das Vernichtungspotenzial. Dafür wird wohl eine eigene Anlage errichtet werden müssen.