Die "Eiserne Lady" ist tot
Von Konrad Kramar
Parteigenosse oder Gegner, wer in der britischen Politik ins Rampenlicht tritt, auf den fällt fürs erste gleich ihr langer Schatten. „Thatcherite“ oder nicht, das ist Gretchenfrage, die die britischen Medien bei jeder Reform im Land stellen. Für die Linke ist es immer noch das härteste Urteil, das man über eine politische Entscheidung fällen kann, für die Konservativen der Maßstab für politische Konsequenz und Durchschlagskraft. Denn genau die besaß Englands „Eiserne Lady“, die am Montag im Alter von 87 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben ist. Margaret Thatcher hatte bereits mehrere Schlaganfälle erlitten. Nach Angaben ihrer Tochter war sie seit Jahren dement. Thatcher wird kein Staatsbegräbnis, aber eine Trauerfeier mit großem militärischen Zeremoniell in der St. Paul's Cathedral erhalten, hieß es aus der Downing Street.
Plan gegen die Krise
Thatcher hatte einen – und er hieß: Marktwirtschaft, ohne Kompromisse. Die Steuern wurden gesenkt, die Staatsausgaben ebenfalls, der Sozialstaat verstümmelt, defizitäre Staatsbetriebe von den Kohlebergwerken bis zur Stahlindustrie einfach zugesperrt. Kein Streik, keine Massenproteste konnten sie abhalten.
"Es gibt keine Alternative"
Die Folge war ein eindrucksvoller Wirtschaftsaufschwung innerhalb weniger Monate – in einem Land, das in weiten Teilen zur wirtschaftlichen und sozialen Wüste verkam. Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, Obdachlosigkeit, der man nur mehr Herr werden konnte, indem man etwa großflächige Räumungen der Londoner U-Bahn-Stationen durchführte.
Doch Thatcher hielt unbeirrbar Kurs. „Es gibt keine Alternative“, ihr stets verfügbares Motto, war der Spruch, mit dem sie alle Zweifel, alle Warnungen, aber auch alle Meinungsumfragen vom Tisch. Denn die zeigten bald, dass sich die Stimmung gegen sie drehte.
Es folgte ein Erdrutschsieg bei den Wahlen und dann die zweite, noch entscheidendere Phase ihrer kapitalistischen Revolution: Die völlige Liberalisierung des britischen Finanzmarktes. Spielregeln, die ihr großer Verehrer und enger Freund Ronald Reagan kurz darauf auch in den USA einführen sollte.
Startschuss für Aufstieg Londons
Dieser Umbruch war unumkehrbar. Mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrem politischen Ende trägt Großbritanniens Wirtschaft, Großbritanniens Gesellschaft das Gesicht, das Thatcher ihr gegeben hat.
Die soziale Kluft, die sie einst in den britischen Mittelstand riss, hat sich nicht mehr geschlossen. Der Finanzplatz London aber produziert immer noch in atemberaubendem Tempo Reichtum.
Doch als die Welt 2008 in die Finanzkrise schlitterte, traf es kaum ein Land so hart wie Großbritannien. Ohne industrielles Rückgrat war die überschuldete Dienstleistungsgesellschaft Großbritanniens wehrlos. Eine Bank nach der anderen krachte, musste von einer linken Labour-Regierung mit Milliarden aufgefangen werden.
Verstaatlichung als einzige Rettung
Sie war die europäische Achse der Reagonomics, also der Wirtschaftspolitik ihres Du-Freundes Ronald Reagan, der exakt die gleichen Ziele verfolgte. An Großbritannien lassen sich daher exemplarisch die Stärken und die fatalen Schwächen ihrer Politik ablesen. Jener Politik, die nach der Wende in Osteuropa 1989 auch die gesamte europäische Entwicklung bestimmen sollte. Die Inflationsbekämpfung als Dogma ist Europa seither nicht mehr losgeworden, die globale Raserei des Geldes ebenfalls nicht.
EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso würdigte die Rolle von Margaret Thatcher für die EU-Erweiterung. "Sie war ein führender Akteur dabei, die mittel- und osteuropäischen Länder zur europäischen Familie zu bringen, die damals hinter dem Eisernen Vorhang waren", erklärte Barroso in einem Statement in Brüssel. Thatcher sei "zweifelsohne eine große Staatsfrau" gewesen. Sie werde sowohl für ihren Beitrag zum als auch für ihre Vorbehalte gegenüber dem europäischen Projekt in Erinnerung bleiben, betonte Barroso.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz erinnerte daran, dass Thatcher zu Beginn ihrer Amtszeit eine überzeugte Europäerin gewesen sei, die sich für die Unterzeichnung der einheitlichen Europäischen Akte eingesetzt habe, welche den Binnenmarkt verändert habe. "Ganz egal, ob man ihrer Politik zustimmt oder nicht, Margaret Thatcher hat gezeigt, dass die Politik noch immer eine Kraft des Wandels sein kann." Thatcher sei "eine Figur von historischer Bedeutung" gewesen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete Thatcher als "eine der überragenden Führungspersönlichkeiten der Weltpolitik ihrer Zeit". Sie habe früh die Kraft der Freiheitsbewegungen Osteuropas erkannt und sich für sie eingesetzt, sagte Merkel, die in der DDR aufwuchs. "Ihren Anteil an der Überwindung der Teilung Europas und am Ende des Kalten Krieges werde ich nicht vergessen." Weiter betonte Merkel: "Indem sie sich zu Zeiten, als dies noch nicht selbstverständlich war, als Frau im höchsten demokratischen Amt behauptete, hat sie vielen nach ihr ein Beispiel gegeben."
"Mit Margaret Thatcher verliert die bürgerliche Parteienfamilie eine der herausragendsten politischen Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts", erklärte Vizekanzler und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger am Montag in einer Aussendung. "Obwohl Thatchers Politik zum Teil polarisierte, wurde vor allem ihr Wirtschaftskurs, der zu mehr Wohlstand für Großbritannien führte, immer hervorgehoben", so der Vizekanzler und Außenminister.
Für den früheren sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow war Thatcher eine "große politische Persönlichkeit".
Auch der frühere polnische Präsident Lech Walesa würdigte sie als Persönlichkeit, "die zum Fall des Kommunismus beigetragen hat". Er bete für sie, sagte der Friedensnobelpreis-Träger und ehemalige Chef der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, deren Proteste in den 80er Jahren die politische Wende in Polen mit bewirkten.
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle charakterisierte Thatcher als eine große Politikerin, die Großbritannien, Europa und die ganze Welt geprägt habe. Thatcher zähle zu den wenigen Menschen, bei denen man schon zu Lebzeiten gewusst habe, dass sie große Geschichte geschrieben habe. "Für die Geschichte Europas und der Welt hinterlässt sie ein großes Erbe", sagte Westerwelle am Montag in Berlin. "Wir schauen voller Bewunderung auf ihr Lebenswerk."
Der deutsche Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-98) zeigte sich über Thatchers Tod erschüttert. "Ich habe Margaret Thatcher wegen ihrer Freiheitsliebe, ihrer unvergleichlichen Offenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit sehr geschätzt", teilte Kohl am Montag mit. Thatcher sei "eine aufrechte Kämpferin und Vertreterin der Interessen ihres Landes" gewesen. Der CDU-Politiker bezeichnete sie als "großartige" Frau und Premierministerin. In Kohls Amtszeit war es zu etlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Politikern gekommen, unter anderem über den Kurs der EU und die Wiedervereinigung Deutschlands 1989/90, der Thatcher zunächst skeptisch gegenüberstand. Der Alt-Kanzler räumte ein, dass sein Verhältnis zu Thatcher immer auch ein "Wechselbad der Gefühle" gewesen sei. "Trotz allen unterschiedlichen Auffassungen in manchen Sachfragen war es bis zuletzt aber vor allem ein respektvoller Umgang miteinander. Und so verneige ich mich mit stillem Gruß und in tiefem Respekt."
Der französische Präsident François Hollande nannte Margaret Thatcher eine "große Persönlichkeit", die die Geschichte ihres Landes nachhaltig geprägt habe. "Ihr gesamtes öffentliches Leben lang war sie mit ihren konservativen Überzeugungen, zu denen sie voll stand, auf den Einfluss Großbritanniens und auf die Verteidigung seiner Interessen bedacht", hob der Sozialist in einer Erklärung in Paris hervor. Thatchers Beziehungen zu Frankreich seien stets "offen und loyal" gewesen, fügte Hollande hinzu. Gemeinsam mit dem damaligen französischen Staatschef François Mitterrand, ebenfalls Sozialist, habe sie die Verbindungen zwischen beiden Ländern gestärkt. So habe sie einen entscheidenden Impuls zum Bau des Tunnels unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien gegeben.
US-Präsident Barack Obama hat mit Bedauern auf den Tod der ehemaligen britischen Premierministerin reagiert. "Mit dem Tod von Baroness Margaret Thatcher hat die Welt eine der großen Verfechterinnen der Freiheit verloren und Amerika eine wahre Freundin", sagte der Präsident. Als erste britische Regierungschefin sei sie Vorbild für viele Frauen.
Auch George Bush senior, der während seiner Amtszeit als US-Präsident Ende der 1980er Jahre eng mit Thatcher zusammengearbeitet hatte, äußerte sich zum Tod der "Eisernen Lady": "Margaret war mit Sicherheit eine der stärksten Befürworterinnen von Freiheit und freien Märkten im gesamten 20. Jahrhundert."
Doch nicht alle in Großbritannien hat die Nachricht vom Tod Thatchers betrübt - der Funktionär David Hopper von der Bergarbeitergewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) machte aus seiner Freude am Montag keinen Hehl. "Darauf werde ich jetzt anstoßen", sagte Hopper, der bei sich zuhause im nordostenglischen Durham zugleich Geburtstag feierte. "Das ist ein wunderbarer Tag, ich bin absolut erfreut. Heute ist mein 70. Geburtstag, und es ist einer der besten, die ich je hatte."
Thatchers erste Amtszeit war geprägt von heftigen Auseinandersetzungen mit den britischen Gewerkschaften. Die konservative Premierministerin verfolgte einen rigiden Kurs der Privatisierung von Staatsbetrieben und der Senkung der Staatsausgaben.