Bosnien-Wahl: „Dayton-Verfassung ist wie eine Zwangsjacke“
Wer verstehen will, wie absurd das System des bosnisch-herzegowinischen Staates ist, der kann die Antwort auf einer Fläche von ca. sechs mal acht Zentimetern finden. „Rauchen tötet“ steht hier auf den Zigarettenschachteln dreimal. Zweimal identisch. Ein drittes mal ebenso gleich, allerdings in kyrillischen Lettern. Überflüssig. Doch so lautet das Gesetz. Keine der drei ehemaligen Kriegsparteien darf benachteiligt werden. Das war Sinn des Dayton-Vertrages von 1995, der den Frieden garantierte und eine Verfassung für die Übergangszeit bieten sollte.
„Wir verwenden es bis heute als politisches System, doch ihr Zweck war es doch, den Krieg zu beenden“, sagt Politologin und Soziologin Valida Repovac Niksic. Seit 1995 aber werde das komplexe System und die Trennung der Ethnizitäten von Politikern zum Machterhalt missbraucht.
„In der bosnischen Politik wird die Frontlinie nicht zwischen Volk und Elite gezogen, sondern zwischen Volk und Volk“, beobachtet Niksic. Mittlerweile ist diefrüher gemischte Gesellschaft in vielen Teilen des Landes säuberlich getrennt. Das spiegelt sich etwa in den separaten Schulen für Muslime, Serben und Kroaten wider.
„Dayton war eine Übergangslösung“, sagt Journalist und Unternehmer Mahir Sahinovic. „Das Wichtigste war erst einmal der Friede. Und dann? ’Werden wir schon sehen´, hieß es.“
Künstlich getrennt
Dieses „Werden wir schon sehen“ dauert nun fast 25 Jahre. Je länger das Sysem existiert, desto besser scheint sich die Ware Nationalismus zu verkaufen. „Als der Krieg begann, war ich 12 Jahre alt“, erinnert sich Sahinovic. „Ich hatte keine Ahnung, was ’Serbe’, ’Kroate’ bedeutet.“ 50 Jahre lang hätten Bosnier bis ins privateste Leben hinein nebeneinander und miteinander gelebt. „Diese Differenzierung wurde im Krieg künstlich wichtig gemacht. Und jetzt, Jahrzehnte später, wird es immer noch betont.“ „Mit diesen drei homogenen Gruppen, die keine historische Basis haben, können die Politiker ihre Macht in den Institutionen sichern“, sagt der politische Beobachter.
Das Herausheben der Unterschiede zwischen den Ethnizitäten führt zu einer lähmenden Blockade des ganzen Landes. „ Zwangsjacke“ nennt es Predrag Kojovic, Parteichef der Nasa Stranka (Unsere Partei), einer kleinen progressiven liberalen Gruppierung, eine der wenigen multiethnischen Parteien des Landes.
Das geht so weit, dass man sich nicht auf einen Text für die Nationalhymne einigen kann, obwohl alle – könnte man meinen – dieselbe Sprache sprechen. Doch nur scheinbar. Denn laut Dayton-Vertrag sind Bosnisch, Serbisch und Kroatisch drei verschiedene Sprachen. Deshalb findet auch jede einzelne von ihnen ihren Platz auf der Zigarettenschachtel.
Und nicht nur das: Jedes der 14 Parlamente in Bosnien hat sein eigenes Amtsblatt für Veröffentlichungen. Die Gesetzestexte werden von Beamten in alle drei Sprachen „übersetzt“. „Die bekommen auch noch dafür bezahlt“, sagt Sahinovic und greift sich an den Kopf.
Der Busunternehmer Vedad sagt, er habe nur einen Wunsch: „Den Tag zu erleben, an dem Bosnien nur einen Präsidenten hat.“ Das will auch Predrag Kojovic. „Natürlich können wir das ändern“, sagt der Oppositionspolitiker optimistisch, wissend, dass Verfassungsreformen bisher zum Scheitern verurteilt waren. So wie in den meisten Ländern bedarf es zur Verfassungsänderung einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. „Da kommt die EU-Integration ins Spiel.“ Mit dem nötigen Druck, glaubt Kojovic, könne die EU zum Vorwärtskommen beitragen.
Am Sonntag wird in Bosnien-Herzegowina gewählt. Was die Wahlen ändern werden? Nichts, sagen viele. Dennoch ist die Hauptstadt vollgepflastert mit Wahlplakaten. Große von den großen, mächtigen Parteien, kleinere von den kleineren Parteien mit weniger Mittel.
Vor einem Optikergeschäft nahe dem Zentrum von Sarajevo lacht Chuck Norris von einem Plakat. Der US-Schauspieler hat es in der westlichen Popkultur zur Legende gebracht. Diese besagt, dass Chuck Norris alles kann, sogar das Unmögliche. Auf dem Plakat hier in Sarajevo steht unter Chuck Norris’ Portrait: „Kandidat für alle drei Präsidiumsmitglieder“
Die Bosnier nehmen es – wie es ihrem Naturell entspricht – mit Humor. „Es wird sich nichts ändern“, sagt Optiker Haris Ambeskovic, der das Plakat aufgestellt hat. Für den Tag nach der Wahl hat er jedenfalls schon ein neues Plakat. Chuck Norris wird wieder zu sehen sein, darunter: „Ich habe zum ersten Mal verloren.“ An dem System in Bosnien beißt sich sogar Chuck Norris die Zähne aus, der sonst das Unmögliche schafft.