Politik/Ausland

"Explosionsartige Zunahme": China verliert die Kontrolle über Corona

Eine Woche nach der Lockerung der strikten Corona-Politik in China haben die Behörden des Landes den Überblick über die genaue Ausbreitung des Virus verloren. Die wahre Zahl an Infektionen könne nicht mehr angegeben werden, teilte am Mittwoch die nationale Gesundheitsbehörde mit. Vize-Regierungschef Sun Chunlan erklärte, dass die Zahl der Corona-Infektionen in Peking "rasant steigt". Die Straßen der Hauptstadt waren am Mittwoch weitgehend leer.

"Viele asymptomatische Menschen machen keine PCR-Tests mehr, deshalb ist es unmöglich, die aktuelle Zahl von asymptomatisch Infizierten akkurat zu benennen", erläuterte die Nationale Gesundheitskommission. Vor der Fieber-Station einer Klinik in Peking sahen AFP-Reporter am Mittwoch etwa 50 Menschen in einer Schlange stehen. Alle in der Schlange seien "infiziert", sagte einer von ihnen. "Wir würden nicht kommen, wenn wir es nicht wären."

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"Explosionsartige Zunahme"

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren die Corona-Zahlen bereits vor der jüngsten Lockerung der strikten Corona-Beschränkungen rasant angestiegen. Die "explosionsartige Zunahme" der Fälle in China und die "erhöhte Übertragungsintensität" hätten "lange vor der Lockerung der Null-Covid-Politik begonnen", sagte der Leiter der WHO-Notfallabteilung, Michael Ryan, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Genf. Der Nutzen von Kontrollmaßnahmen habe sich angesichts der hohen Ansteckung durch die Omikron-Variante geändert.

Corona sei nicht plötzlich außer Kontrolle geraten, weil China die Beschränkungen aufgehoben habe. Die Krankheit habe sich deshalb stark ausgebreitet, "weil die Kontrollmaßnahmen an sich sie nicht aufhalten konnten". Er glaube, dass die chinesischen Behörden mit ihrer abrupten Kehrtwende "strategisch entschieden" hätten, dass die strengen Regeln für sie "nicht mehr die beste Option" seien, sagte Ryan.

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Die Beschränkungen nach chinesischem Vorbild seien bei der vor einem Jahr erstmals entdeckten Omikron-Variante weniger hilfreich als bei früheren Virus-Stämmen, bei deren Verbreitung die Impfrate noch niedrig war. Die hohe Ansteckung bei Omikron "hat uns die Möglichkeit genommen, gesundheitspolitische und soziale Maßnahmen zur vollständigen Eindämmung des Virus zu ergreifen", sagte er. Solche Maßnahmen hätten in erster Linie dazu gedient, die Gesundheitssysteme zu schützen, als die Impfquoten noch an Fahrt aufnahmen. Nun aber habe sich ihr Nutzen geändert.

Nach landesweiten Protesten sowie einem Einbruch des Außenhandels im November hatte die Volksrepublik vor einer Woche mit einer Abkehr von ihrer strikten Null-Covid-Politik begonnen. Landesweit wurden zunächst Quarantäneregeln und Testpflichten gelockert oder sogar abgeschafft und die Massenabriegelungen beendet. Am Montag kündigten die Behörden zudem das Ende der staatlichen Corona-App an, die zweieinhalb Jahre lang die Bewegungsfreiheit der Menschen stark eingeschränkt hatte.

Pekings Straßen leergefegt

Restaurants, Geschäfte und Parks öffneten in Peking schrittweise wieder. Von einem normalen Alltag in der 22-Millionen-Einwohner-Stadt kann derzeit jedoch nicht die Rede sein. Zahlreiche Menschen infizieren sich mit Corona, viele Unternehmen berichten vom Ausfall von 90 Prozent ihres Personals. Andere bleiben aus Furcht vor einer Infektion vorsorglich zu Hause. Am Mittwoch waren die Straßen in Peking daher weitgehend leer.

Angesichts der steigenden Infektionszahlen bevorraten sich viele Menschen mit Medikamenten, in Online-Netzwerken wird über ausverkaufte Arzneimittel und lange Schlangen vor Apotheken in der Hauptstadt berichtet. Die wachsende Nachfrage nach Medikamenten und Corona-Tests hat zu astronomischen Schwarzmarkt-Preisen geführt.

Die abrupte Kehrtwende der chinesischen Führung bedeutet also, dass das Land nun mit einer Welle von Corona-Fällen konfrontiert sein wird, auf die es schlecht vorbereitet ist: Den unterfinanzierten Krankenhäusern fehlen die Kapazitäten, um eine große Zahl von Patienten aufzunehmen. Außerdem sind Millionen ältere Menschen noch immer nicht vollständig gegen das Coronavirus geimpft.

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