Politik/Ausland

CDU nach Merkel: Wer? Und wohin?

Angela Merkel hat Schluss gemacht. Ja, die Kanzlerin hat es getan, ihren Rückzug als Parteichefin angekündigt. In Berlin schien gestern aber trotzdem die Sonne, die U-Bahn fuhr halbwegs im Takt.

Aus dem Takt ist nur die CDU, die nun einen Kulturbruch erlebt und vor einer neuen Ära steht. Sie kann sich nach 18 Jahren Merkel gleich zwischen mehreren Bewerbern entscheiden: Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn und Ex-Fraktionschef Friedrich Merz, der ein politisches Comeback anstrebt.

Der Aufruhr ist groß, denn mit den Personen sind programmatische Änderungen verbunden. Merz und Spahn gelten als wirtschaftsliberal bzw. rechtskonservativ, Kramp-Karrenbauer steht eher für einen liberaleren Kurs, ist gesellschaftspolitisch aber restriktiver als Merkel.

„Wir werden uns noch nach ihr sehnen“, titelte die linke taz und zeigte ein Foto von der jungen Angela Merkel im Strandkorb. Die Welt, bürgerlich-konservativ, bastelte aus dem CDU-Schriftzug ein Ikea-Logo: „Entdecke die Möglichkeiten“.

Kampf um die Deutungsmacht

Was nun passieren könnte, weiß Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Sie sieht einen Kampf um die Deutungsmacht aufkommen, der sich in der CDU schon länger abzeichnet, erklärt sie im Gespräch mit dem KURIER. „Schon jetzt wird in den Landesverbänden sondiert“. Es könnte darauf hinauslaufen, dass sich diese in den östlichen Ländern mehr für die restriktiven Positionen eines Jens Spahn oder Friedrich Merz entscheiden, während die Länder im Westen offener und liberaler sind, so Münch. Vertreter dieses Flügels sind NRW-Landeschef Armin Laschet, der die meisten Delegierten hat, und Daniel Günther, Ministerpräsident in Schleswig-Holstein.

Welche Richtung der CDU wieder Wahlgewinne sichert, „ist so nicht einfach auszumachen“, sagt sie. In Hessen hat die CDU etwa fast gleich viele Wähler an AfD und Grüne verloren; in Bayern liefen der Schwesterpartei CSU nach ihrem rechten Kursschwenk die meisten Wähler aus dem liberalen-bürgerlichen bzw. christlichen Lager davon.

„Wenn sie weiter Volkspartei sein will, muss sie alle Strömungen vereinen und versuchen, die verschiedenen Milieus zu verbinden und eine Brücke zu schlagen“, sagt Münch. Eine ähnliche Entwicklung wie in Österreich, dass eine Person die Partei umkrempelt, kann sie sich nicht vorstellen: „Die CDU ist zu heterogen, die Dissensen sind zu groß, der Föderalismus in den Ländern ist zu stark.“ Neben den Strukturen ist es auch eine Personen-Frage: Jens Spahn, der sich in so einer Rolle sehen würde, sei nicht mehrheitsfähig: „Er ist zu sperrig, kein Menschenfischer.“

Egal, wer künftig Parteivorsitzender wird: „Es braucht eine Persönlichkeit, die auch für das Kanzleramt geschaffen ist.“ Denn die Ämtertrennung wird nicht lange währen, ist Münch überzeugt – „nicht bis 2021.“ Sie glaubt nicht, dass die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält, bis zu diesem Zeitpunkt würde Merkel noch als Kanzlerin zur Verfügung stehen. 

Dass sie die Performance der Bundesregierung am Montag als „inakzeptabel“ bezeichnete, sei vor allem an Seehofer adressiert gewesen. Damit habe sie ihm den Rücktritt nahegelegt, so die bayerische Polit-Beobachterin Ursula Münch. Merkel werde wegen ihres Schrittes Größe attestiert, „diese Chance hat er (Seehofer) schon verpasst.“

 

Ihre möglichen Nachfolger:

Annegret Kramp-Karrenbauer:

„Ich kann, ich will und ich werde“, mit diesem Satz leitete die 56-Jährige ihre Bewerbungsrede als Generalsekretärin ein. Da war die ehemalige Ministerpräsidenten vom Saarland gerade eben ins politische Berlin gezogen. Was vielen vor knapp acht Monaten schon klar war: AKK, wie sie intern genannt wird, könnte nicht nur Merkels Generalin werden. Sie soll die CDU programmatisch neu aufstellen – und einmal übernehmen.

Persönlich und ideologisch steht sie der Kanzlerin nahe, sie ist unprätentiös, eine nüchterne Analytikerin. Privat lebt sie ein modernes Frauenbild: Sie macht Karriere, ihre Mann kümmerte sich um die Kinder.

Gesellschaftspolitisch ist sie aber restriktiver, daher lässt sie sich auch keinem Flügel zuordnen. Sie lehnt etwa die gleichgeschlechtliche Ehe ab und sorgte als Ministerpräsidentin mit Vorschlägen für Aufregung: So plädierte sie dafür, das Alter von minderjährigen Flüchtlingen feststellen zu lassen; und wenn sich Piloten weigern Abschiebeflüge vorzunehmen, dann soll das der Bund machen. Auch in puncto doppelte Staatsbürgerschaft ist sie auf Linie ihrer rechtskonservativen Kollegen. Was sie Jens Spahn und Friedrich Merz aber voraus hat: Sie kann Wahlen gewinnen. In ihrer Heimat brachte die 56-Jährige im Frühjahr 2017 den Schulz-Zug zum Stoppen und holte für die CDU 41 Prozent. Eine Leistung, die Merkel immer wieder lobte.

Friedrich Merz: Am Dienstag hat auch der frühere Unions-Fraktionschef Friedrich Merz seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz erklärt. Die Union brauche einen „Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten“, sagte der 62-Jährige.

Seine Bewerbung ist doppelt pikant: Merz gilt als Konservativer, der die „Sozialdemokratisierung“ der CDU unter Merkel zutiefst ablehnt. Er brachte im Jahr 2000 den Begriff der „deutschen Leitkultur“ ins Gespräch. Legendär sein Spruch von der Steuererklärung, die auf einem Bierdeckel Platz haben müsse. Und er hat eine Rechnung mit Merkel offen: Sie demontierte ihn 2002 als Fraktionschef, so wie sie seinerzeit alle Konkurrenten und möglichen Nachfolger absägte. Seither ist er als Anwalt tätig und Aufsichtsratschef für den deutschen Ableger des Vermögensverwalters BlackRock. Jetzt sieht er die Zeit für ein Comeback gekommen.

Jens Spahn: Wie lange er wohl auf diesen Moment gewartet hat? Kurz nachdem Merkels Rückzug vom Parteivorsitz bekannt wurde, warf er seinen Hut in den Ring: Jens Spahn. „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“, zitierte ihn sein Biograf Michael Böcker. Ja, Spahn ist zwar erst 38 Jahre, sein politisches Leben reicht scheinbar schon für den Buchhandel. Seit fast 15 Jahren ist der gelernte Bankkaufmann CDU-Abgeordneter. Seit 2014 ist er im Präsidium, wo er per Kampfabstimmung einen Merkel-Vertrauten verdrängte. Wolfgang Schäuble rief ihn als Finanzstaatssekretär zu sich und bezeichnete ihn als „eine der großen Hoffnungen für die Zukunft der Union“. Als solche machte er sich als Kritiker der Kanzlerin einen Namen. Und er hat es geschafft, dass ihn alle als Kanzleramts-Anwärter bezeichnen, obwohl er es selbst so nie öffentlich sagen würde.

Inhaltlich wie stilistisch ist er das Gegenteil der Kanzlerin: Er ist provokant und medial dauerpräsent. Auch als sie ihn zuletzt als Gesundheitsminister ins Kabinett einbinden wollte, produzierte er Schlagzeilen abseits seines Ressorts mit Aussagen wie: Auch ohne Tafeln müsse niemand in Deutschland hungern oder Hartz IV bedeute nicht Armut.

Seine Chancen auf den Parteivorsitz? Bei jenen, die sich ein konservativeres Profil wünschen, hat er gute Karten. Allerdings wird er auch beweisen müssen, dass er auf den liberalen CDU-Flügel ebenso eingehen kann.