Äthiopien: Statt Traum von Europa Hoffnung auf Neuanfang
Von Irene Thierjung
Die Sonne scheint, es ist warm, aber nicht heiß. Die trockene rotbraune Erde wirbelt auf, als der von der UNO organisierte Autokonvoi im Camp Qologji II in der äthiopischen Somali Region eintrifft.
Dort, rund 500 Kilometer von Addis Abeba und eine Autostunde von der Regionalhauptstadt Jijiga entfernt, leben seit gut einem Jahr 37.000 Menschen auf engstem Raum. Zu siebt oder acht leben die kinderreichen Familien in traditionellen Häusern, gefertigt aus Ästen und bedeckt mit Stoffen und Plastikplanen gegen Regen.
Versorgt werden sie von UN-Organisation wie dem Welternährungsprogramm WFP, das jede Familie mit Wasser, Getreide, Speiseöl und Hülsenfrüchten versorgt.
Menschentrauben
Als Sebastian Kurz aus einem der UN-Autos aussteigt, ist die Aufregung groß, schnell bilden sich Menschentrauben um den Bundeskanzler, der im Rahmen seiner Afrika-Reise vorbeischaut, um sich einen Eindruck der Lage zu machen.
Ausgesucht haben sich die Menschen in Qologji dieses beengte Leben nicht – sie sind Binnenvertriebene, im UN-Sprech auch „Internally displaced People“, kurz IDPS.
Geflohen sind sie nicht etwa aus dem nur 70 Kilometer entfernten Bürgerkriegsland Somalia, sondern aus Äthiopien selbst. Es sind großteils aber ethnische Somalis, die seit Generationen als Viehnomaden in Äthiopien leben, gut integriert sind, die hiesigen Dialekte sprechen.
Einige kommen aus weit entfernten Gegenden, viele lebten allerdings bis vor kurzem nur wenige Kilometer entfernt, in der benachbarten Oromia Region.
Konflikte flammten in der Vergangenheit immer wieder auf, etwa um die Grenzziehung mit der Oromia Region, in der hauptsächlich Angehörige der Oromo-Volksgruppe, aber auch viele Somalis leben.
Brenzlig wird es stets, wenn sich die Lebensbedingungen verschlechtern, wie es seit der großen Dürre in den Jahren 2015 und 2016 der Fall ist. Gibt es zu wenig Wasser und Weideland, spielt die ethnische Zugehörigkeit, die bis dahin eher nebensächlich wird, wieder eine Rolle. In den letzten sechs Monaten hat sich die Lage noch einmal zugespitzt.
2,7 Millionen Binnenflüchtlinge
Die 37.000 Frauen, Männer und Kinder in Qologji II und die 27.000 Menschen im benachbarten Camp Qologji I sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Insgesamt leben in der Somali Region mehr als eine Million Binnenvertriebene, verteilt auf 385 camps – die die Regierung aber lieber als Orte denn als Lager bezeichnet. Im gesamten Äthiopien mit seinen 105 Mio. Einwohnern sind es 2,7 Millionen. Es ist das Land mit dem größten Anteil an Binnenflüchtlingen weltweit.
Dazu kommt noch einmal eine Million Flüchtlinge aus Nachbarländern wie Somalia und Südsudan.
Insgesamt leben in der Somali Region mehr als eine Million Binnenvertriebene, verteilt auf 385 camps – die die Regierung aber lieber als Orte denn als Lager bezeichnet. Im gesamten Äthiopien mit seinen 105 Mio. Einwohnern sind es 2,7 Millionen. Es ist das Land mit dem größten Anteil an Binnenflüchtlingen weltweit.
Dazu kommt noch einmal eine Million Flüchtlinge aus Nachbarländern wie Somalia und Südsudan.
Eine Rückkehr in ihre alte Heimat ist für die meisten Binnenvertriebenen nicht vorstellbar, sie haben bei ihrer Flucht alles verloren, Traumatisches erlebt, die Angst vor neuen Angriffen ist übermächtig.
Nach Europa zieht es sie nicht, fast alle hoffen, neues Land zu bekommen, auf dem sie sich niederlassen können – was allerdings derzeit reine Zukunftsmusik ist.
„Niemals könnte ich zurückkehren an den Ort, an dem meine Familie so brutal abgeschlachtet wurde“, erzählt etwa die 60-jährige Kayro. Sie sei der Regierung dankbar, dass sie hier versorgt werde, „aber wir werden immer mehr Leute, das Essen ist knapp, es gibt immer mehr Krankheiten“, klagt sie.
Österreich stockt Hilfe auf
Österreich, das Äthiopien bereits 1992 zum Schwerpunktland seiner Entwicklungszusammenarbeit erklärt hat, will das WFP nun mit zusätzlichen 1,5 Millionen Euro ausstatten, um die Lage der Menschen in der Somali Region zu verbessern. Das teilte Kanzler Kurz bei seinem Besuch am Samstag bekannt gab.
Für das gesamte Äthiopien wendete Österreich heuer bereits rund 10 Millionen Euro auf, zwei Mio. stammten aus dem Auslandskatastrophenfonds.
Laut Experten sind neben dieser humanitären Hilfe auch Maßnahmen zur Beilegung der ethnischen Konflikte nötig. Wichtig sei es dabei, die Bevölkerung unabhängiger vom Regen zu machen, etwa durch besseres Know-How in der Landwirtschaft und die Schaffung neuer Jobs. Auch Geburtenkontrolle sei wichtig (derzeit bekommt eine Frau in der Somali-Region im Schnitt sechs Kinder).
Seien diese Vorhaben erst einmal geschafft, so sagen Kenner der Region, werde die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle mehr spielen.