Politik/Ausland

Brexit: Mit Vollgas an die Wand?

In weniger als zwei Wochen könnte es schon soweit sein: Großbritannien, aus Sicht der EU ein Drittstaat. Ein Land außerhalb der Vertragswerke der Europäischen Union. Auf sich gestellt. Zu welchen Konditionen jedoch, steht in den Sternen. Was sich aber immer mehr abzeichnet, ist ein Austritt ohne Abkommen, ohne Übergangszeiten, ohne jegliche Bindung an die EU. Und: völlige Unklarheit über die künftigen Beziehungen zwischen Europa und den Briten. Das schürt Panik – auf politischer Ebene, bei vielen Bürgern, in den Rängen der Verwaltung. Und vor allem: In der Wirtschaft.

Laut dem Einkaufsmanager-Index von IHS Markit legen in Großbritannien ansässige Unternehmen derzeit massive Vorräte an. In der 27-jährigen Geschichte des Index hatte noch nie ein Industrieland einen derartigen Anstieg verzeichnet, gab IHS bekannt. Es wird auf Vorrat produziert, es wird auf Vorrat eingekauft – von Schrauben über diverse Bauteile bis zu Werkstoffen. Und all das nicht, weil die Nachfrage so gigantisch wäre, sondern weil keiner weiß, was nach dem 12. passieren wird und zu welchen Konditionen diese Teile dann noch verfügbar sein werden. Das zum einen.

Und zum anderen: Das Anlagevolumen sank im vierten Quartal 2018 erneut um 2,8 Prozent, so die britische Statistikbehörde – der vierte Rückgang in Folge. Goldman Sachs hat berechnet, dass der Ausstieg aus der EU Großbritannien rund 700 Millionen Euro kosten wird. Wöchentlich.

Es war der bekannt undiplomatische Chef von Siemens-Großbritannien, Jürgen Maier, der jetzt erneut seinem Ärger Luft machte. Von einer Säule der Stabilität sei Großbritannien zu einer Witzfigur geworden.

Staatssekretär Sir Mark Sedwill – Großbritanniens ranghöchster Beamter – beschreibt das Szenario in einem Brief an alle Minister der May-Regierung wie folgt: Er spricht von massiven Auswirkungen auf die gesamte Sicherheitsstruktur Großbritanniens, die Polizei, die Wirtschaft, sowie das Rechtssystem. Er sagt einen Preisanstieg für Lebensmittel um rund 10 Prozent voraus. Das begleitet von einer Wirtschaftskrise, gegen die jene aus dem Jahr 2008 lächerlich erscheine. Und schließlich schreibt er davon, dass es letztlich unvermeidbar werden würde, Nordirland wieder unter direkte Kontrolle Londons zu stellen.

Alle Inhalte anzeigen

Ein Punkt, den Sedwill auch ausführt, ist eine möglicherweise tiefgreifende Krise des britischen Rechtsstaates sowie der Judikatur.

Tatsächlich ist das ein Punkt, der im Zuge der Feilschereien um den Brexit-Deal mit der EU oder mögliche Alternativen, in der parlamentarischen Arbeit noch weitaus zu kurz kam: Die Entflechtung der britischen und der europäischen Gesetzgebung und die Gefahr eines rechtsfreien Raums nach dem harten Ausstieg Großbritanniens. Das große Problem daran: Die Zeit wird knapp.

Einige Initiativen gab es bereits und einige Gesetze wurden auch schon verabschiedet, wie die britische Politologin Melanie Sully sagt. Etwa, Geldwäsche-Regelungen, Gesetzte zu Atomkraft-Sicherheit, Zollrichtlinien oder Gesetze zu Versicherungsleistungen für Auslandsbriten.

Alle Inhalte anzeigen

In großen Bereichen aber spießt es sich. Und auch da sind inner-parlamentarische Grabenkämpfe die Ursache. So scheiterte etwa ein Gesetz zu Finanzdienstleistungen am Veto des eher Brexit-feindlich gesinnten Oberhauses. Das Oberhaus war es auch, das ein Handelsgesetz an das Unterhaus mit der Forderung zurückschickte, britische Unternehmen müssten durch das Gesetz vor Preisdumping geschützt werden. Der Ball liegt da jetzt beim Unterhaus. Ein großer Brocken ist auch die Landwirtschaft und da vor allem staatliche Förderungen an Bauern sowie Qualitätsstandards, um WTO-Richtlinien gerecht zu werden. In anderen Bereichen geht es um die Fischerei oder die Reisefreiheit.

Was es nach den Worten Sullys braucht, ist Zeit – also eine Übergangsphase, um diese Begleitgesetze durch beide Häuser zu bringen. Raum für überbrückende Notregelungen ortet sie. Dazu müsse sich aber auch die EU kooperativ zeigen. Irland habe zum Beispiel angedeutet, dass man für eine gewisse Zeit zumindest die offene Grenze zu Nordirland beibehalten könne, um keine Eskalation zu riskieren. Eine Dauerlösung aber kann das wiederum aber aus Sicht Londons nicht sein – wo man ja eine schleichende Einverleibung Nordirlands durch Irland befürchtet.

Ein Problem, das Sully auch für den Fall eines soft Brexit (als Mit Abkommen) sieht: Die Gespräche über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien sollen erst im kommenden Herbst beginnen. Da wird eine neue EU-Kommission im Amt sein und sehr wahrscheinlich auch eine neue britische Regierung.